SCHATTENTANTZ: Galgenfrist

„Galgenfrist“ ist in meinen Augen und Ohren wegen der wunderschönen Aufmachung, der bis ins kleinste Detail liebevoll ausgearbeiteten Musik, der phantastischen Atmosphäre und der eindrucksvollen Texte DAS Debütalbum 2001. Mittelalterlicher Folklore-Metal, wie er besser kaum sein könnte.

Die mittelalterliche Musik hatte lange Zeit Hochkonjunktur in der deutschen Musik- und besonders in der Metal-Szene. Die beiden Sperrspitzen der Bewegung, SUBWAY TO SALLY und IN EXTREMO, entwickelten dabei sehr eigene Wege; erstere machen Musik aus Leidenschaft, letztere, um RAMMSTEIN zu imitieren – diesen Weg ebenfalls eingeschlagen haben die Leute von TANZWUT, weil sie neidisch sind auf den Erfolg der ersten beiden Bands. Und irgendwo dazwischen mogelt sich eine ziemlich langweilige und allenfalls durchschnittliche Combo wie MORGENSTERN.

Nein, man kann definitiv nicht sagen, daß diese „Bewegung“ viel Gutes hervorgebracht hat. Deshalb war ich auch besonders skeptisch, als ich „Galgenfrist“, das Debütalbum der erst 1999 gegründeten Band SCHATTENTANTZ in den Händen hielt. Der erste optische Eindruck war zwar vielversprechend, aber ehrlich gesagt erwartete ich nicht viel.

Als dann aber die ersten Töne aus der Anlage kamen, blieb mir der Mund vor Staunen offen stehen. Das Album beginnt mit einem absolut professionellen und wunderschönen mehrstimmigen Gesang, das Stück ist von Walther von Vogelweide („Ouwe“), und die Interpretation schlichtweg großartig! Danach folgt dann mit „Die Hexe“ die erste von insgesamt neun Eigenkompositionen – und spätestens bei diesem ungemein druckvollen und begeisternd gespielten Song war ich hin und weg. Welch energiegeladenes Gitarrenspiel! Welch einfallsreiche Perkussionsarbeit! Und wie harmonisch die akustischen Instrumente (Drehleier, Flöten, Schalmey etc.) sich in das Metal-Gerüst einfügen!

Aber die Skepsis blieb. Würden SCHATTENTANTZ es schaffen, das Niveau in den weiteren Songs zu halten? Nein, sie schaffen es nicht – sie werden besser! Mit dem rein akustischen Lied „Schattentantz“ intoniert man ein unglaublich bewegendes Stück folkloristischer Tonkunst, fernab von Oberflächlichkeit oder Augenwischerei. Und so verhält es sich auch mit allen übrigen Stücken, wobei man sich den Höhepunkt „Ein Blatt im Wind“ fast bis zum Schluß aufhebt. Wunderschön!

Ich merke, daß ich ins unbegründete Schwärmen abdrifte. Aber es geht auch nicht anders bei solch ehrlicher, ergreifender Musik. Diese Band spielt wirklich genau das, was ich mir unter mittelalterlich beeinflußtem Folk-Metal vorstelle und übertrumpft damit sogar die alteingesessenen SUBWAY TO SALLY, auch wenn der Vergleich eigentlich gar nicht gerechtfertigt ist, gehen SCHATTENTANTZ doch mit einer sehr viel deutlicheren „mittelalterlichen“ Ausrichtung an die Musik heran – hier steht die Folklore im Mittelpunkt, nicht die Rockmusik, obwohl „Galgenfrist“ auch ein extrem hartes, rockiges, erdiges Album und auch entsprechend produziert ist – man nehme nur einmal das Inferno in „Düsterschiff“ oder das treibende „Ein Blatt im Wind“. Irgendwie hat man dabei aber immer das Gefühl, auch die E-Gitarre sei ein traditionelles Instrument, so harmonisch spielt Moderne und Tradition hier zusammen. Eigenständigkeit wird also groß geschrieben und auch umgesetzt – Parallelen zu anderen sog. „Mittelalter-Metal-Bands“ bestehen wirklich nur hinsichtlich der Instrumentierung, und das auch nur teilweise, da SCHATTENTANTZ weitaus mehr Instrumente verwenden als andere Bands und dabei auch noch besser sind. Auch der Gesang klingt sehr klar, keinesfalls „quäkig“ oder rauh und setzt damit eigene Akzente.

Textlich wird die Musik unterstützt von sehr schöner Lyrik, die typisch mittelalterliche Themen behandelt wie die Hexenverbrennungen; sie geht dabei aber auch weitaus tiefer als z.B. die textlich recht nichtssagenden IN EXTREMO – so geht es in „Bauernknecht“ und „Ein Blatt im Wind“ um gesellschaftlich Aussätzige, die im Kontrast zum Leben am Hofe leben und dabei trotz alledem versuchen, aufrecht zu stehen. „Cernunnos“ wiederum ist ein brillanter Text aus der Sicht der Natur geschrieben, die das brutale und widerwärtige Verhalten der Menschen, besonders das des Kriegers, anprangert – ein durchaus modernes Thema, erschüttert doch Krieg wieder einmal die Erde.

„Galgenfrist“ ist nun also in meinen Augen und Ohren wegen der wunderschönen Aufmachung, der bis ins kleinste Detail liebevoll ausgearbeiteten Musik, der phantastischen Atmosphäre und der eindrucksvollen Texte DAS Debütalbum 2001. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man folkloristischen Metal besser spielen könnte und verneige mein Haupt in Ehrfurcht.

Zu bestellen ist die Eigenproduktion auf der Homepage der Band (http://www.schattentantz.de).

VÖ: Oktober 2001

Spielzeit: 48:03 Min.

Line-Up:
Aaron Awerkin – Gesang, kleines Schlagwerk, Gitarre, Bass

Lasse Lehmann – Cello, Gesang

Imke Peters – Flöten

Dominik Oelke – E-Gitarre, Drehleyer, Schalmey, kleines Schlagwerk, Gesang

Max Schilling – Gitarre, Bouzouki, Schäferpfeife, Schalmey, kleines Schlagwerk, Gesang

Sören Buchhold – Bass, kleines Schlagwerk

Frederik Ehmke – Schlagwerk, Hümmelchen, Gesang

Tim Netzband – Tontechnik

Produziert von Tristan Eck und Tim Netzband

Homepage: http://www.schattentantz.de

Email: kontakt@schattentantz.de

Tracklist:
1. Ouwe

2. Die Hexe

3. Schattentantz

4. Cernunnos

5. Winterszeit

6. Im Lentz

7. Bauernknecht

8. Düsterschiff

9. Praeludium

10. Ein Blatt im Wind

11. Galgenfrist

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