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BETHLEHEM: Schatten aus der Alexander Welt

Wo ist nur das scheiß Radio???

Einst brach die Sendung eines Lebens aus mir herab; ich jätete den Garten, gärtnerte gar, um dann im Nichts einer unvollkommenen Insektenzerstörung (BETHLEHEM sei Dank) unter- und aufzugehen. Nichts konnte mich halten, als ich sie sah, die Ackerwinde, dies Unkraut, als sei es geboren aus Nichts, ach, ich weiß doch, es ist weit mehr als das. Mal sehen. Wir haben Insekten, Ameisen, das sind keine Insekten, sondern Ameisen, wir haben also Insekten. (Wunder)schöne Käfer. Insekten sind die direkte Konkurrenz zum Menschen, und auch das will uns die Alexanderwelt sagen. Nein, nichts ist so schön oder gar so greulich wie das Alles, und wenn man so daher gärtnert – gibt es das Wort überhaupt -, wenn man also so daher gärtnert, erblicke ich die Sterne über mir, das Himmelszelt, und ich vernehme Whiskeygesäusel in meinen Ohren, in meinem Mund spüre ich des nächtens frisches, geschmolzenes Sonnenlicht. Ach es ist schön, hier zu sitzen, in diesem Nichts, in diesem Alles, es ist schön, und ich kann dabei versichern, daß es nicht der Tee war. Nein, es war nicht der Tee, obwohl manche (Zeit)genossen mir das sicherlich versichern würden, Deutsch ist eine würde-lose Sprache – versicherten – Präteritum, Perfekt, Imperativ: Stirb! Hör! Vernimm! Ach, was wäre eine solche Sehnsucht doch ohne Sterne. Nichts. Nichts und Alles sind Brüder, wißt ihr, Brüder, die sich (vielleicht auch Schwestern) im Geiste alle ähneln. Geschwister also, so wie Gott – mit uns. Moralisierend greift die Nächstenliebe ein und enthüllt Abgründe, kollosall genial, kollossal brutal-genial.

Neben mir schläft die Katze. Sie heißt Minki und gehört Microsoft, und ob sie weiß, wie schön, wie verstörend, wie grausam und gleichzeitig betörend diese Musik ist? Wie zart umschmeicheln die Gesänge das gebrochene Herz, wie sittsam leuchtet uns die Pracht sanfter Melodien – KRANK, KALT, KAKOPHONIE (weiß irgendjemand, was das ist?). Ach, was soll es denn, denke ich mir, denkt man sich (und frau auch), wenn man hört, wie Insekten vernichtet werden, und der Hummer tut uns leid, so leid! Wissen Sie, die Alexanderwelt kommt immer mit dem Verrücken der Tapete ins Spiel, und so wollen wir verrückt sein, so wie die Tapete, um einzutauchen, zu schweben, zu schwingen, nein schwimmen, in den Tiefen dieser Welt, um zu erkennen, daß es nichts, rein gar nichts ist im Vergleich zur richtigen Welt, die nicht definiert ist, durch nichts, rein gar nichts, und bitte, Freunde, Genossen, bitte, trinkt Whiskey. Um Himmels willen, trinkt!

Ich kann nicht sagen, was das soll. Ich kann es nicht. Ich kann nur hören, fühlen, verstehen vielleicht die Sonnige Qual der zarten Unterweltensymphonie. Meine Güte, was für ein Titel, das wäre auch was für BETHLEHEM. „Schatten aus der Alexander Welt“ leuchten uns, und was das Kind da im Mädchenzimmer in sein Tagebuch schrieb, geschrieben hat, geschrieben hatte, mein Wort erstickt im Plusquamperfekt und NICHT im Imperativ, da erstickt der Kuß – das ist wahrlich etwas besonderes, großes, etwas, das man vielleicht erst dann faßt, wenn man vollkommen in anderen Gefilden verweilt. Nein, Drogen spielen dabei weniger eine Rolle als vielmehr die Fähigkeit, das, was wir als Welt wahrnehmen, zu begreifen, zu verstehen, zu verinnerlichen, um dann daraus wieder eine Welt zu erschaffen, in ihr einzutauchen und erneut zu verstehen, zu begreifen, zu verinnerlichen, was es heißt, in der Alexanderwelt (nennen wir sie einmal so) zu verweilen. Einst dachte wohl auch Jürgen Bartsch so, makaber ist das, und doch gefährlich, gefährlich, entzückend. Bassisten als Sprachrohre, ich liebe das. Was soll ich denn noch schreiben, was vernehmen, wenn nicht dieses Werk, dunkle Jalousinen bedecken mein Herz (das Fenster), und wißt ihr was?

ICH HABE EINE RAUHFASERTAPETE!!!

(Können die verrücken?) Verrückt sein? Verrücktsein? Sein als Zustand verrückter Existenz? Hellblaue Rauhfaser, um genau zu sein, hellblau, das macht melancholisch auf die Dauer, glaubt es mir, wie ihr bereits wißt. Gestern ist schon heute und eigentlich auch immer da. Fragezeichen dienen der Neuorientierung, und wenn ich so darüber nachdenke, fallen mir noch ganz andere Dinge ein. Aber dazu ein andernmal. Musikalisch will ich jetzt wieder einmal sein, um der Musik zu lauschen, diesen Klängen zwischen bedrückender Magie und kichernder Einfalt. Man könnte es auch düstere Rockmusik nennen, aber mit Sicherheit nicht „Suizid Rock“. Man könnte auch einfach die Tapete verrücken – aber wäre das nicht, ja, wäre das nicht wirklich und wahrhaftig und auch krankhaft, also, wäre das nicht gefährlich? Selbst hören, oh ja, selbst hören, das bringt’s, und nicht die erhängte Freundin sehen. Warum auch? Sie ist Anarchie und Rebellion, und da gehören wir hin, ins Nichts und ins Alles der Anarchie und Rebellion. Immer dran denken: Schatten sind ein Teil des Lichts. Und die Tapete?

„Schatten aus der Alexander Welt“ – ein Opus, dessen Tiefe, Bedeutung und konsequente Lösung im Verborgenen liegt, vielleicht in einer Zwischenwelt, vielleicht im diffusen Fundus intellektuellen Unsinns, vielleicht aber auch (und das glaube ich) in der Psyche des Künstlers. Allein die Tatsache, daß dieser sich „Jürgen Bartsch“ nennt, also in seiner künstlerischen Existenz den Namen eines psychisch kranken Kindermörders angenommen hat, sollte Hinweis genug auf den Schlüssel für das Hörspiel, aber auch für die Songtexte darstellen. Nur Hinweis wohlgemerkt, nicht der Schlüssel selbst, denn der liegt mit Sicherheit nicht im Bereich irgendeiner „normalen“ Wahrnehmung. Stattdessen ist das Werk meiner Meinung nach als Trip in Welten jenseits der eigenen zu verstehen, oder auch als Verarbeitung kindlicher Traumata – jedenfalls als etwas komplett phantastisch reales. Die Bilder, die Metaphern, die nicht enden wollenden anscheinend sinnlosen Rätsel in den Texten bieten soviel Interpretationsfläche, soviel Spannung, soviel… ja, sogar soviel Spaß, daß man hier von einem mehr als interessantem, vielleicht sogar bahnbrechendem Album sprechen kann.

VÖ: September 2001

Spielzeit: CD1: 67:29, CD2: 65:41 Min.

Line-Up:
Guido Meyer de Voltaire – Gesang

Olaf Eckhardt – Gitarre

Jürgen Bartsch – Bass

Stefan Wolz – Schlagzeug

Reiner Tiedemann – Keyboard

Produziert von Markus Stock
Label: Prophecy Productions

Homepage: http://www.alexanderwelt.org

Email: bethlehem@alexanderwelt.org

Tracklist:
(Anm.: Zwischen den Titeln ertönen meist Hörspielsequenzen)

Das 4. Tier aß den Mutterwitz

Somnambulismus in Maschinenzimmer 30

Mein Kuß erstickt im Imperativ

Mary Samaels NFB 418

Dunkle, kalte Materie

Maschinensohn

Rost, Wahn & tote Gleise

Tod einer Dieselkatze

Aus dunkler Ritze fruchtig’ Wahn

Diskographie:

Thy pale dominion (7“) (1993)

Dark Metal (1994)

Dictius Te Necare (1996)

Gummo O.S.T., London Rec. (1997)

S.U.I.Z.I.D. (1998)

Reflektionen auf’s Sterben (MCD) (1998)

Profane Fetmilch lenzt elf krank (MCD) (2000)

Schatten aus der Alexander Welt (2001)

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