TOMORROW’S EVE: The Unexpected World

TOMORROW`S EVE schlagen über weite Strecken höchst gekonnt die imaginäre Brücke zwischen dem keyboardlastigen, verspielten Sound DREAM THEATERs und der melancholischen Atmosphäre FATES WARNINGs nebst ähnlicher Gitarrenarbeit. Und vergessen dabei nie, daß eine gute Melodie noch keinem Song geschadet hat…

Warum weiß keiner nicht, aber Fakt ist: Deutsche Bands des Genres, das gemeinhin als Prog bezeichnet wird, haben’s schwer, egal ob hinter Prog ein Rock oder ein Metal folgt. Seit seligen Krautrock-Tagen ist kein noch so hoffnungsvoller Newcomer mehr so richtig aus dem Untergrund-Quark gekommen und dümpelt ambitioniert, aber weitgehend erfolglos dahin. Selbst – aus künstlerischer Warte – Hochkaräter wie MEKONG DELTA, SIEGES EVEN oder SECRECY mussten im Laufe der Jahre die Segel streichen und mit anschauen, wie die glücklichere Konkurrenz aus Übersee – namentlich DREAM THEATER – den Genre-Thron erklomm und bis heute in Sachen Anspruchs-Metal Referenz-Status inne hat.

Ich wünschte, ich könnte TOMORROW’S EVE bessere Aussichten attestieren als ihren Kollegen und Vorläufern, doch ich fürchte: Auch dieses Quintett wird nicht über den Geheimtipp-Status hinaus kommen. Verdient hätten sie’s durchaus, denn auf “The Unexpected World” schlagen sie über weite Strecken höchst gekonnt die imaginäre Brücke zwischen dem keyboardlastigen, verspielten Sound – Achtung, der unvermeidliche Name! – DREAM THEATERs und der melancholischen Atmosphäre FATES WARNINGs nebst ähnlicher Gitarrenarbeit. Und vergessen dabei nie, dass eine gute Melodie noch keinem Song geschadet hat und einer grundsätzlichen Anspruchshaltung keinen Abbruch tut.

Mitunter wecken TOMORROW’S EVE Erinnerungen an FATES WARNING

Schon der Opener “Success” dokumentiert sowohl besagten Brückenschlag als auch songwriterische Stärke TOMORROW’S EVEs par excellence. Nach einem wirbelnden Einstieg in bester DREAM THEATER-Manier folgt die erste Strophe: Verhalten, von atmosphärischen Keyboardklängen untermalt, im Hintergrund zucken ungeduldig Bass und Schlagzeug und warten drauf, wieder lospreschen zu dürfen. Sänger Peter Webel, dessen leicht gepresste Stimme dezent an Ray Alder (FATES WARNING) erinnert, baut behutsam seine Melodielinien auf, die sich dann im überaus eingängigen, teils mehrstimmig intonierten Refrain entladen.

Es folgt eine längere Instrumental-Strecke, die einmal mehr Erinnerungen an FATES WARNING (und insbesondere “At Fate’s Hands”) weckt. Die Strophe wird wieder aufgenommen, während die Gitarren ihre Vehemenz beibehalten, um erst wieder im Refrain Platz zu machen, der in puncto Instrumentierung zunächst das zurückhaltende Muster der ersten Strophe aufgreift, anschließend aber mit vollem Bandeinsatz wiederholt wird. Ein atmosphärisches Intermezzo folgt und wächst an zum Finale Grande. Perfekt!

Der längste Track auf “The Unexpected World” ist zugleich der einzige Durchhänger

Das fast neunminütige “Voyager” steht dem wenig nach, betont allenfalls die technische Seite TOMORROW’S EVEs stärker (obgleich auch hier ein überaus mitreißender Refrain für reichlich Eingängigkeit sorgt), während die Ballade “Outside”auf einschmeichelnde Atmosphäre setzt (und damit an vergleichbare – sorry, noch einmal – DREAM THEATER-Werke erinnert).

Das kurze Instrumental “Silent Dream” leitet zum längsten, aber auch einem der schwächsten Tracks des Albums über: Zum über zwölfminütigem “Changes”, dessen Name Programm ist. Und dem ein wenig Straffung nicht geschadet hätte: Der rote Faden verliert sich mitunter zu sehr in den Weiten der opulenten Arrangements. Wie gesagt: Ein Schwachpunkt auf “The Unexpected World”, wenn auch immer noch auf hohem Niveau.

TOMORROW’S EVE sind eine Wohltat für die deutsche Prog-Szene

“Descent Into Insanity” zählt ebenfalls zu den technik-lastigeren Songs, fesselt aber durch harte Riffs und düstere Atmosphäre, während sich “Conflict” geschickt zwischen den Polen Prog Rock und Metal hindurchschlängelt. Und in seiner Melodieführung zu klassischen Art-Rock-Interpreten der Marke PENDRAGON oder JADIS aufschließt, daher auch unter einer gewissen Konturlosigkeit leidet: Die Gesangslinien sind zwar jederzeit angenehm, aber auch beliebig und weitgehend austauschbar. Schwachpunkt Nummer zwei.

Mit dem knapp einminütigen Klangbild “The Unexpected World” endet schließlich ein Album, das ungemein furios beginnt, in der zweiten Hälfte aber einen Qualitäts-Gang zurückschaltet. Unterm Strich weit mehr, als viele andere Veröffentlichungen zu bieten haben. Sollte es TOMORROW’S EVE gelingen, ihre – reichlich vorhandenen – Stärken auf dem Nachfolger über die volle Album-Länge auszuschöpfen, wird die deutsche Prog-Szene um eine Großtat reicher sein. Ob’s indes die breite Masse bemerken wird, steht auf einem anderen Blatt…

Spielzeit: 47:21 Min.

Line-Up:

Peter Webel – Vocals
Rainer Grund – Guitars
Sascha Hilles – Bass
Ralf Gottlieb – Drums
Oliver Schwickert – Keyboards

Produziert von Markus Teske & Tomorrow`s Eve
Label: B. Mind Records

TOMORROW’S EVE “The Unexpected World” Tracklist

  1. Intro
  2. Success
  3. Voyager
  4. Outside
  5. Silent Dream
  6. Changes
  7. Descent Into Insanity
  8. Conflict
  9. The unexpected World
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