CULT OF LUNA: Salvation

Auch in der Ruhe liegt viel Kraft; CULT OF LUNAs Metamorphose.

Seid mal ehrlich, habt ihr nicht auch im Laufe eures Lebens viel Schuld auf euch geladen? Wenn ich daran denke, was ich schon für Fehler gemacht habe und wie ich manche Menschen verletzt habe, ich könnte vor Scham im Boden versinken. Schuld ist nicht nur eine sehr unschöne Sache sondern auch das zentrale Thema des siebenköpfigen Gespanns CULT OF LUNA. Wer CULT OF LUNA schon einmal gehört hat, wird diese Begegnung nicht vergessen haben, da bin ich mir sehr sicher. Das Vorgängeralbum The Beyond zählt für mich zu den intensivsten und schwierigsten Alben, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Brachial und pechschwarz wälzte dieses doomige Noisecorealbum ebenso wie das Debüt alles nieder und wurde meiner Meinung nach zu unrecht – ja, auch von mir – auf die heftigen Scheiben von NEUROSIS reduziert.

Nun, anderthalb Jahre später, steht der Nachfolger ins Haus. Allein schon das Konzept des Albums verlangt eine sensiblere musikalische Ausrichtung, und das zum sterben schöne, minimalistische Artwork deutet dies bereits an. So pessimistische und tiefschwarze Töne finden sich auf Salvation dementsprechend nur selten, hier herrscht Elegie, Melancholie und oftmals sogar Schönheit. Doch es kommt auf den Zuhörer an: Pessimistischere Zeitgenossen werden mit dem dritten Album der Nordschweden wohl eher das Gegenteil verbinden, doch eines wird jeder erkennen: Die Songs ersticken nicht in einer Soundwand, sie haben durch die gewaltige Dynamik genügend Möglichkeit sich aufzubauen, zu atmen und zu wirken, langsam aber sicher. Jede Note erscheint sinnvoll, auch wenn man – ehrlich gesagt – manchmal nicht so recht mitkommt. In Crossing Over beispielsweise ist es nicht so leicht, den Song zu verfolgen, da eine sehr konfus wirkende Gitarrenmelodie am Ende derart eigensinnig und unbequem aufgebaut ist, dass man sich sehr lange hinein hören muss.

Was lange währt, wird endlich gut heißt es, und das gilt auch für Salvation, bei dem ich anfangs nicht wusste, ob ich nun enttäuscht bin oder ob es wirklich so gewaltig ist, dass man nur langsam damit zurecht kommt. Nach einigen Durchgängen kommt man dahinter, und danach – glaubt mir – erkennt man, dass hier mehr als nur Musik drinsteckt. Spannender kann Musik kaum sein, leichte Jazz-Anleihen und ein deutlicher Einschlag in Richtung GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR und sogar PORTISHEAD erweitern die Musik ungemein, in Verbindung mit den finsteren Noise-Parts wird hier ein Hybrid geboren, der einem Gänsehaut verschafft wie es sonst nur NEUROSIS und ISIS schaffen. Gerade den leisen Stellen wohnt eine so ungeheure Intensität bei, dass einem der Atem stockt – und das nicht nur beim ersten Hören. Der Beginn des eben erwähnten Crossing Over ist wahnsinnig intensiv: über den jazzig angehauchten Beginn vernimmt man im Hintergrund zunächst ganz leise, dann immer deutlicher die Schreie von Sänger Klas Rydberg.

Dieser hat zwar wenig Einsätze auf Salvation, aber dafür überzeugt sein Armageddon erzeugendes Geschrei auf ganzer Linie und wird genau in den richtigen Stellen eingesetzt. Großen Anteil an der erzeugten Spannung trägt auch der neue Keyboarder Anders Teglund, der im Vergleich zu seinem Vorgänger weniger Samples dafür mehr Stimmung, Atmosphäre und Melodien erzeugt. Langweilige Standardmelodien und –sounds gibt es nie, dafür Innovation, die Schule machen sollte. Ebenso hat der neue Drummer Thomas Hedlund einen großen Einfluss auf das Gesicht der Band, bei ihm steht Können vor Dreschen. Ohne diese neuen Instrumentalisten hätte Bandkopf und Hauptsongwriter Johannes Persson diese Metamorphose wohl nicht verwirklichen können.

Mit Vague Illusions, Leave Me Here, Waiting for You und dem abschließendem Into the Beyond sind CULT OF LUNA Meisterwerke gelungen, die nicht intensiver und ehrlicher hätten ausfallen können. Gerade Vague Illusions treibt mich regelmäßig in die Knie, bis der erlösende, ruhige Mittelteil mich auffängt und auf den Boden der Tatsachen zurückbringt. Leave Me Here und Waiting for You kann man nicht anders beschreiben als: Zum Heulen schön. In Ersterem gibt sich der schwedische Barde Tiger Lou die Ehre und ergänzt Leave Me Here und auch Crossing Over mit seiner wunderbaren Stimme. Into the Beyond leitet das Album episch und positiv, wiederum mit leichtem Jazz-Einschlag aus, steigert den Gänsehautfaktor noch einmal, auch wenn man es nicht für möglich halten möchte.

Salvation ist ein Album, das ich CULT OF LUNA trotz oder gerade wegen des erbarmungslosen Vorgängers nicht zugetraut hätte und besitzt alles, was man sich als Fan dieser Gattung von Post-Hardcore-Bands nur wünschen kann: Ehrlichkeit, den Willen Neues zu erschaffen, hohe Kreativität und eine mitreißende Atmosphäre. Wer einen offenen Geist besitzt, den wird dieses Album ebenso mitreißen wie mich. Tiefgehend und befreiend, Katharsis eben.

Veröffentlichungstermin: 4. Oktober 2004

Spielzeit: 73:31 Min.

Line-Up:
Klas Rydberg – Vocals

Johannes Persson – Guitars

Erik Oloffson – Guitars

Andreas Johansson – Bass

Thomas Hedlund – Drums

Anders Teglund – Keyboard & Samples

Magnus Lindberg – Sound Engineering

Produziert von CULT OF LUNA
Label: Earache Records

Homepage: http://www.cultofluna.com

Tracklist:
1. Echoes

2. Vague Illusions

3. Leave Me Here

4. Waiting for You

5. Adrift

6. White Cell

7. Crossing Over

8. Into the Beyond

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