Amorphis: Finnische Kebaps, gebrochene Knochen, drei Gitarristen und serbische Diktatoren..!

Interview mit Amorphis, 5.5.99 – Stuttgart, Röhre. Da bereitet man sich auf ein Interview vor und überlegt sich eine Menge Fragen – und dann geht das Gespräch plötzlich in ganz andere Richtungen,. Doch lest selbst.

…da bereitet man sich auf ein Interview vor und überlegt sich eine Menge Fragen – und dann geht das Gespräch plötzlich in ganz andere Richtungen! Aber was soll’s, Olli-Pekka und Esa von Amorphis waren sichtlich gut gelaunt und unterhielten sich bereitwillig mit uns und ließen sich später auch nicht aus der Ruhe bringen, als ihr SupportAct Dreadmaxx bereits auf der Bühne stand…

Zuerst sollen wir euch schöne Grüße von Aleksi Laiho (Children Of Bodom), mit dem wir heute ein telefonisches Interview machten, ausrichten!

Olli-Pekka: Oh, Danke. Wir kennen uns ganz gut, Children of Bodom sind ja auch aus Finnland, da kennt man sich eben.

 

Wir sind von vampster, einen Online-Magazin…

Olli-Pekka: Im Internet? Super, ich surfe täglich mindestens eine Stunde, allerdings wird es in Finnland immer teurer, weil sich dort sehr viele Leute dafür interessieren. Gebt mir doch mal eure Adresse

 

Leider ist alles in deutsch verfasst.

Olli-Pekka: Nun, ein bißchen deutsch kann ich und irgendwas werde ich schon verstehen.

 

Fein! Wie läuft denn die Tour bisher?

Olli-Pekka: Ziemlich gut, wir waren jetzt in Belgien, in Holland und ich denke, daß wir heute die dritte Show in Deutschland spielen. Wir spielen so gut wie nie zuvor, vor den Gigs hier waren wir in Finnland auf Tour und konnten uns einspielen. Außerdem spielen wir unheimlich gerne live, und die Shows waren bisher klasse.

 

Welche Songs werdet ihr heute abend spielen, mehr neues Material oder sind auch alte Sachen dabei?

Olli-Pekka: Sowohl als auch, auf der Setlist stehen drei Songs von der Elegy und drei Songs vom Tales-Album, der Rest ist von der Tuonela.

 

Gab‘s eigentlich Probleme mit der Support-Band, denn hier wußte keiner, wer das sein wird, es war nichts angekündigt.

Nö, nicht daß ich wüßte. Als Opener spielt eine deutsche Band namens Dreadmaxx aus Frankfurt, die ziemlich cool ist, und uns auf der Tour in Deutschland begleitet. Wir spielen danach noch ein paar Shows in Osteuropa, z.b. in der Tschechei und in Italien. Dort werden wir aber vermutlich mit einer lokalen Band zusammen spielen.

 

Ist das ein Problem für euch, mit wechselnden Supports zu spielen, da ihr ja kaum Gelegenheit habt, euch aneinander zu gewöhnen?

Uns ist eigentlich egal, wer mit uns spielt, die Supports machen ihre eigene Show… Esa: (der sich inzwischen zu uns gesetzt hatte) …und haben ihren eigenen Bus, so ist es also wirklich egal. Natürlich ist es schöner mit einem Package auf Tour zugehen, wenn es mehrere Bands sind, macht es einfach mehr Spaß.

 

Euer Keyboarder Kim Rantalla hat die Band verlassen, wird Santeri Kallio, der auch die Keyboards auf Tuonela eingespielt hat, festes Bandmitglied oder ist er nur für diese Tour engagiert?

Er wird wahrscheinlich dabei bleiben, es war nicht so schwer, ihn als Ersatz für Kim zu gewinnen, da wir ihn seit über 10 Jahren kennen, wir wollten ihn eigentlich schon damals, als Kaspar Martensen, unser erster Keyboarder, gegangen ist, in die Band holen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber noch seine eigene Band Kyyria. Tja, Kyyria gibt es inzwischen nicht mehr und deshalb spielt er jetzt bei uns und ich denke, daß wir ihn behalten werden (grinst).

 

Wie waren denn die Reaktionen auf das neue Album Tuonela, ihr habt euch mehr und mehr von euren Death-Metal Wurzeln entfernt, seit ihr deswegen schon kritisiert worden?

Bei der Presse sind wir ganz gut weggekommen, allerdings sagen auch viele Leute, das Album sei zu kommerziell. Als wir das Album gemacht haben, haben wir keinen Gedanken daran verschwendet ob sich das Album nun besser verkaufen wird als die anderen, beim Songwriting machst du einfach das, was in deinem Kopf ist ohne kommerzielle Überlegungen anzustellen.
Allerdings ist die Produktion die beste, die wir je hatten. Der Sound ist einfach besser und dann verkauft sich ein Album auch besser, in dieser Hinsicht ist Tuonela kommerzieller als die Vorgängeralben. Der bessere Sound paßt aber genau auf die Musik. Mit einem klareren Sound spricht man eben mehr Leute an, als mit einem für eine Undergroundband typischen. Es wird immer Leute geben, die behaupten eine Band sei kommerziell geworden, nur weil sie mehr Geld in die Produktion steckt.
Die ersten drei Alben haben wir alle selbst produziert…

 

Ich habe gelesen, daß ihr mit der Produktion von ‚Elegy‘ nicht 100%ig zufrieden wart, weil das Album zu überladen klingt. Stimmt das?

Wir denken, damals war es in dieser Weise ok, und wir sind auch heute noch sehr stolz darauf. Wir konnten damals das machen, was wir wollten. Elegy ist wohl das modernste Album, das wir gemacht haben, es sind sehr viele verschiedene Dinge enthalten – und es wurde in drei verschiedenen Studios aufgenommen. Von heute aus gesehen, war es vielleicht ein wenig zu viel…

 

Tuonela geht dann also wieder mehr in Richtung ‚back to basics‘?

Ja, genau! Wir haben die einzelnen Songs ohne Keyboards geschrieben, wie bei unsrem ersten Album. Insofern hast du recht damit, wenn du sagst, daß es ein eher bodenständiges Album ohne viel drumrum ist.

 

Auf der anderen Seite ist es so, daß viele Bands, die einmal mit Death-Metal begonnen haben, heute verstärkt andere Einflüsse in ihrer Musik verarbeiten. Seht ihr diese Entwicklung genauso?

Ja, sicher. Es ist einfach so, daß sich Musiker weiterentwickeln wollen. Das war auch bei uns der fall und ich denke, daß diese Entwicklung gut ist, das sie den Bands mehr Kontinuität gibt. Man bleibt nicht stehen, sondern macht auch mal etwas neues. Wenn man andere Musik hört kommt man auf neue Ideen, ohne die die Musik schnell langweilig wäre.

 

Sentenced haben uns mal gesagt, daß sie eine ähnliche Entwicklung sehen. Ihnen waren immer die Melodien in den Songs wichtig und so haben sie sich in eine melodischere Richtung bewegt. Was verbindet eure früheren Alben mit Tuonela?

Ich denke, daß wir immer noch den typischen Amorphis Sound haben, man kann immer noch erkennen, daß es dieselbe Band ist, die auch Karelian Isthimus gemacht hat. Wir haben uns darüber aber keine Gedanken gemacht, die Entwicklung hat sich einfach ergeben.

 

Wie sieht‘s denn mit dem Konzept der Kalevala aus, ist das neue Album eine Fortsetzung dessen, was ihr mit den Tales und Elegy Alben begonnen habt oder steht eine völlig neue Idee dahinter?

Beides, musikalisch ist es einerseits etwas neues und andererseits auch eine Weiterführung des ‚Elegy‘ Albums. Die Texte beziehen sich wieder auf die Kalevala. Pasi Koskinen schreibt die Texte zuerst auf finnisch und übersetzt sie dann ins englische.

 

Was ist eigentlich die Verbindung zwischen der Kalevala und der Musik von Amorphis? Repräsentiert die Musik von Amorphis die alten Mythen und Geschichten auf musikalische Weise, oder wo ist die Verbindung?

Am Anfang war die Kalevala für uns eine Inspiration für die Texte, wie auch für andere Bands in der skandinavischen Musikszene. Später hat sich das weiterentwickelt und Einfluß auf die Musik genommen, ‚My Kantele‘ bezieht sich auch in musikalischer Hinsicht auf die finnische Tradition der gesungenen Gedichte.
Ich denke schon, daß sich in der Musik die Kalevala spiegelt.

 

Auf dem neuen Album finden sich neben finnischen Folk-Elementen auch Parts, die ich als orientalisch bezeichen würde. Liege ich da richtig?

Ja, wir haben uns schon immer auch für orientalische Musik interessiert und auch auf dem neuen Album findet sich viel von diesem ‚Kebap-Zeugs‘. es ist ein gute Mischung aus Rock und finnischer und orientalischer Musik.

 

Eine Frage die zwar irgendwie doof ist, mich aber einfach mal interessiert: in nahezu jedem Interview mit einer finnischen Band kann man lesen, daß sich die finnische Mentalität doch von der deutschen unterscheidet. Würdet ihr da zustimmen oder ist das ein aufgebautes Image?

Die Finnen vom Land sind auf jeden Fall anders. (Gelächter) Aber wir kommen aus Helsinki, dort sind die Leute eher normal. Es gibt viele Leute in Finnland, die psychische Probleme haben, das liegt vielleicht auch daran, daß es je nach Jahreszeit pro Tag nur 4-5 Stunden hell ist. Im Kaamos (die Zeit, in der es dunkel bleibt) ist es schon sehr schlimm, alles ist dunkel und langweilig. Es ist einfach unnatürlich, in Dunkelheit zu leben. Die Finnen sind nette Leute, aber sie reden nicht allzuviel. Finnische Musik ist darum oft melancholisch.
Aber die Menschen unterscheiden sich, die ältere Generation ist viel depressiver als die jüngere. Früher war das Leben in Finnland ganz anders, es gab den Krieg und ähnliche Zustände wie heute im Kosovo, darum sind die älteren Leute depressiver als die jüngeren.

 

Wie kommt es eigentlich, daß so viele Bands aus Finnland kommen? Gibt es im Winter, wenn es finster ist, nicht anderes zu tun, als sich in einem Proberaum zu stellen und Musik zu machen?

Finnische Bands behaupten so etwas gerne, aber ich bin nicht sicher ob das immer den Tatsachen entspricht. Musik ist eben auch ein Weg, Gefühle auszudrücken, und da wir nicht viel reden… ich glaube auch, daß die Leute einfach ein gutes Gespür für Songs und Melodien haben. Finnische Musik unterscheidet sich vom Mainstream dadurch, daß sie aus dem Herzen kommt. Außerdem stimmt es, daß man im Winter einfach nicht viel anderes machen kann als Gitarre zu spielen…

 

Wie sieht denn dann die finnische Musikszene aus? Die Band Nightwish hatte in Finnland einen Nummer 1 Single Hit, hier wäre so etwas praktisch unmöglich…

Wir dachten auch, daß sei in Finnland unmöglich (lacht). Nightwish sind hoch in die Charts eingestiegen, aber dennoch werden die Songs von ihnen oder ähnlichen Bands nicht im Radio gespielt, man sieht auch keine Videoclips. Die Radiostationen spielen einfach keinen Heavy Metal oder Rock, fast alle Radiostationen sind irgendwie miteinander verbunden und gehören zu großen Sendern, die keine Rockmusik unterstützen. Es gibt wenige Ausnahmen, aber die meisten spielen keine harte Musik. Das ist schade, denn sie spielen somit nicht das, was in den Charts ist, sondern irgendwelches Zeug, das wirklich keinen interessiert. Finnische Bands interessieren die nicht, die einzige finnische Band, die unterstützt wird, sind die Leningrad Cowboys. Anyway, im Moment hat man in Finnland als Metalband gute Chancen, einigermaßen erfolgreich zu sein.

 

Nachdem nun bereits die Vorgruppe loswummerte, wurde es zeit, das Interview zu beenden, natürlich nicht ohne die obligatorischen Vampster!-Fragen gestellt zu haben:

Was waren die letzten drei Alben, die ihr euch gekauft habt:
Olli-Pekka: C.O.C.- Deliverance, eine Pink Floyd, und Kyyus
Esa (überlegt noch länger): Police und Ultra

 

Ultra?

(Esa erklärt unter Gelächter) Die machen politische Songs, die irgendwo zwischen 70er Jahre-Schlager und Jazz liegen…

 

Nächste Frage: ihr habt eine Bandhomepage und auf der Digipack-Edition von Tuonela sind zwei CD-Rom Tracks. Wie wichtig wird Multimedia in Zukunft sein?

Sehr wichtig, vor 15 Jahren waren Musikvideos bahnbrechend, und ich denke, daß Multimedia-Sachen wie eben Homepages genauso wichtig werden. Wer weiß, ob es in Zukunft überhaupt noch Plattenläden geben wird, da man jeden Song aus dem Internet holen kann.

 

Drittens: Ein besonders schönes, lustiges oder trauriges Erlebnis bei einer Live-Show?

(kurzes Nachdenken der beiden, dann brechen sie – mal wieder – in schallendes Gelächter aus und Eas erzählt): Auf der Bühne? Nun, Olli-Pekka ist von der Bühne gefallen! (Olli-Pekka erzählt weiter) Oh, ja, daran kann ich mich erinnern, das war in Holland. Ich stand so da (steht auf und stellt ein Bein auf eine imaginäre Monitorbox, fuchtelt herum und illustiert so wie er von der Bühne fiel) Es war schrecklich. Ach und, Pasi hat sich einmal ein Bein gebrochen (Esa korrigiert:) einmal? Zweimal! Zuerst in Paris und dann spielten wir ein Festival in Finnland und er brach es sich nochmal. Vielleicht sollten wir nicht live spielen, das ist zu gefährlich! Ach ja, und dann gibt’s da noch die Gebutstage… da werfen wir mit Torten auf der Bühne rum oder werden von der Supportband beworfen. (grinst) So lustige Dinge machen wir!

 

Okay, letzte Frage, wen würdet ihr gerne einmal treffen?

Ah, das ist jetzt die schwierigste Frage (sehr langes Nachdenken) Vielleicht Milosovic, dann könnten wir ihn umbringen! (Gelächter) Doch, das wäre eine gute Idee!

 

Noch eine Frage: Was sagt ihr zur Iron Maiden Reunion?

Spitze! Aber sie haben jetzt einen Gitarristen zuviel (Gelächter) Im ernst, ich denke das mußte so kommen, früher oder später…

 

Leider war‘s nun wirklich an der Zeit, das Gespräch zu beenden. Hier erfahrt ihr, was Amorphis eine Stunde später auf der Bühne boten.

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