RAMMSTEIN : Reise, Reise

Ein erstklassiges Album ohne große, aber voller kleiner durchweg positiven, Überraschungen!

Damit eines gleich und unmissverständlich klar ist und allen Gerüchten und Spekulationen über stilistische Experimente, die Auflösung der Band, Unstimmigkeiten zwischen den Bandmitgliedern und Veränderungen zum Trotz: Der vierte Longplayer „Reise Reise“ klingt so sehr nach RAMMSTEIN, wie alle seine Vorgänger auch – allerdings kann man dieses Mal für die Rubrik „Uptempo-Nummern“ die Meldung „Fehlanzeige“ verkünden.

Elf Songs hat das weiterhin in unveränderter Besetzung musizierende Sextett in Spanien und Schweden eingespielt. Diese wurden erneut von Jacob Hellner produziert, von Stefan Glaumann gemischt und von Howie Weinberg in New York gemastered – dass es alleine schon aufgrund der Beteiligung dieser Person am fetten Sound der Scheibe nichts auszusetzen gibt, versteht sich eigentlich von selbst.

Musikalisch kann man das Ganze als „business as usual“ bezeichnen, wenn auch auf einem verdammt hohen Niveau. Auch wenn die Band mit eher RAMMSTEIN-untypischen Instrumenten wie Oboe, Akkordeon oder Mandoline musiziert bzw. musizieren lässt, verwässert/verändert das den Sound genauso wenig wie die Beteiligung diverser Chorsänger, einer weiblichen Sängerin oder der Einbau einiger orchestraler Momente. Im Gegenteil, diese Zutaten beleben den Gesamtsound und lockern ihn auf.

Zu den Songs : „Reise Reise“ erinnert durch seine Schwere etwas an den Titeltrack des „Mutter“-Albums, während „Ohne Dich“ eine Ballade ist, mit der ich allerdings (auch wenn der Text sehr schön ist) weniger anfangen kann (muss zur Verteidigung dieses Songs aber anmerken, dass ich auch mit artverwandten Songs wie „Seemann“, „Nebel“ oder „Klavier“ wenig bis gar nichts anfangen konnte), auch wenn hier die o.a. RAMMSTEIN-untypischen Instrumente erklingen.

Über die erste Single „Mein Teil“ habe ich mich ja an anderer Stelle bereits ausgelassen – musikalisch ein Klassesong (mit tollem Video und wirklich witzigen Textzeilen wie „Heute treff’ ich einen Herrn – der hat mich zum Fressen gern. Weiche Teile und auch Harte stehen auf der Speisekarte“ – ich gebe aber gerne zu, dass man darüber wohl nur lachen kann, wenn man über ein gewisses Maß an schwarzem Humor verfügt).

Der Titel mit dem größten Überraschungseffekt ist zweifelsohne das mit einer Akustikklampfe verfeinerte „Los“ – so könnten RAMMSTEIN bei einem „Unplugged“-Konzert klingen. Sehr ungewöhnlich, aber auch so klasse, dass ich diesen Song als echtes Album-Highlight bezeichnen möchte.

Fast schon poppig-eingängig klingt dagegen die zweite Single „Amerika“ – ein politischer Song mit durchaus zynischer Schlagseite über die Rolle der USofA als Weltpolizei.

Auch das laut-leise „Stein Um Stein“ (in gewisser Weise ein Liebeslied, wenn auch auf die „Und-bist-du-nicht-willig-dann-brauch-ich-Gewalt“-Weise und mit Textzeilen wie „Mit den Füssen im Zement verschönerst du das Fundament“ präsentiert) gehört zu den besseren Songs dieses Albums.

„Moskau“ (mit Akkordeon-Klängen und weiblichem Gesang angereichert) folgt sicherlich nicht zufällig auf „Amerika“ und bietet den „Nadel-im-Heuhaufen“-Suchern die ideale Gelegenheit die Band als „Kommunisten“ zu bezeichnen, wobei man das Wort „Moskau“ auch als stellvertretend für einen x-beliebigen Frauennamen bezeichnen könnte (denn das Lied ist nichts anderes als eine Art Liebesklärung an eine Prostituierte. Zumindest deute ich Textzeilen wie „Ihr Mund fällt mir zu Tale – wenn ich sie dafür bezahle“, „Sie macht mich geil ich leide Qualen – sie tanzt für mich ich muss bezahlen“ oder “Sie schläft mit mir doch nur für Geld – ist doch die schönste Stadt der Welt“ so).

„Amour“ (ein Song über die Liebe, die hier als „wildes Tier“ bezeichnet wird und die in einem die schönsten, aber auch die schmerzvollsten Gefühle auslösen kann).

„Morgenstern“ ist dagegen ein Stück, das ich mir erst schön hören musste. Textlich kann man den Song als „Wahre-Schönheit-Kommt-Von-Innen“-Message verstehen, singt der ehemalige Auswahlschwimmer der DDR und Vize-Jugend-Europameister Till Lindemann doch erst „Sie ist so hässlich, dass es graut – wenn sie in den Himmel schaut“ um dann zum Ende des Songs zur Erkenntnis „Mit dem Herzen sehen – sie ist wunderschön“ zu kommen.

Eher durchschnittlich (und diesen Durchschnitt gab es eigentlich auch auf jeder RAMMSTEIN-Scheibe) klingen dagegen „Keine Lust“ (mit brachialem Riffing und einem „Der-Geist-ist-willig-doch-das-Fleisch-ist-schwach“-Text über akute Bock- und Antriebslosigkeit, was durch lyrische Ergüsse wie „Ich habe keine Lust mich nicht zu hassen – hab keine Lust mich anzufassen“, „Ich hätte Lust zu onanieren – hab keine Lust es zu probieren“ oder „Ich hätte Lust mich auszuziehen – hab keine Lust mich nackt zu sehen“ deutlich gemacht wird) und „Dalai Lama“ (das textlich wohl eine modernisierte Fassung von Johann Wolfgang von Goethe’s „Erlkönig“ darstellt)

Fazit : Wer poppige, brachiale und fast schon verträumte Klänge auf einem Album vereint haben möchte – der besorge (es) sich (mit) „Reise, Reise“. Aber auch wer die Mischung aus deftigen, politischen und gefühlvoll-romantischen Texten (die komplett aus der Feder des ehemaligen Korbflechters Till Lindemann stammen) bevorzugt, macht mit dem Erwerb dieses Albums keinen Fehler. Soundfetischisten sowieso nicht – ein erstklassiges Album ohne große, aber voller kleiner durchweg positiven Überraschungen!

Veröffentlichungstermin: 27.09.2004

Spielzeit: 48:30 Min.

Line-Up:
Richard Kruspe (Guitar)

Paul Landers (Guitar)

Till Lindemann (Vocals)

Flake Lorenz (Keyboards

Oliver Riedel (Bass)

Christoph Schneider (Drums)

Produziert von Jacob Hellner
Label: Universal Music

Homepage: http://www.rammstein.de

Tracklist:
1.Reise, Reise

2.Mein Teil

3.Dalai Lama

4.Keine Lust

5.Los

6.Amerika

7.Moskau

8.Morgenstern

9.Stein um Stein

10.Ohne Dich

11.Amour

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