AMORPHIS: Man darf Musik nicht totdenken!!

Tomi Koivusaari über das neue Album “Am Universum”!

Ganz offensichtlich hatte Amorphis Gitarrist Tomi Koivusaari am Vorabend kräftig gefeiert, machte der sympathische Finne schon bei der Begrüßung einen ziemlich angeschlagenen Eindruck. Er gab auch gleich zu, dass er nicht nur müde sei, sondern auch mit den Folgeerscheinungen des vorherigen Abends kämpft. Dennoch nuschelte Tomi tapfer drauflos, als ich ihn auf den Charterfolg in Finnland ansprach, die Single “Alone” erklomm dort die Nummer Eins der Charts. “Ich freue mich, dass wir so viele Singles ohne großangelegte Werbung verkauft haben. Nummer Eins in den Charts zu sein, bedeutet mir allerdings gar nichts. Es war nie unser Ziel, in dieser Liste ganz oben zu stehen. Diese Chartplatzierung ist eine Sache des Musikbusiness.”

Natürlich ist dieser Erfolg Wasser auf die Mühlen all derer, die Amorphis Ausverkauf und kommerzielles Denken vorwerfen. Die Band hat mit ihrer achten Veröffentlichung “Am Universum“, die ab 26. 3. 2001 hier in den Läden stehen wird, kein Metal Album vorgelegt, sondern ein äußerst gelungenes Rockalbum. Die oft (und manchmal auch durchaus zu Recht) verurteilte “Weiterentwicklung” einer Band erscheint bei Amorphis in einem anderen Licht, wenn Tomi erklärt, dass er Amorphis mittlerweile eher als Rockband denn als Metal Act sieht. “Die Kategorisierung “Rock” passt ganz gut, wir sind einfach keine Metal-Band mehr. Wir wollen das aber nicht laut rumbrüllen, sonst denken wieder alle, dass wir unsere Wurzeln verleugnen. Das wollen wir aber auf keinen Fall. Wir haben uns alle, außer vielleicht Pasi, zehn Jahre für die Metal Szene interessiert und waren ein Teil von ihr. Dazu stehen wir auch!”

Am Universum sollte am besten gar nicht erst mit einem Etikett versehen werden, da Tomi von dererlei Vereinfachungen nichts hält: “Ich will Musik nicht kategorisieren, ich habe keine Ahnung, welchen Stil man “Am Universum” zuordnen könnte.”

Von negativen Reaktionen lassen sich Amorphis mittlerweile auch nicht mehr aus dem Konzept bringen. Erfahrung diesbezüglich konnten die Jungs laut Tomi schon mehr als genug sammeln: “Ich kenne all diese Vorwürfe. Als die ‘Tales from the thousand lakes’ rauskam, gab es schon erste negative Reaktionen. Manchen war das Album zu poppig, manche fragten sich, warum wir auf der Bühne nicht völlig verbiestert rumstehen. Wir spielen gerne live – wir genießen es! Warum also sollen wir böse dreinschauen?! Kritik gab es immer. Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn jemand “Am Universum” nicht mag, dann ist das vollkommen ok.” Allerdings bringt er deutlich zum Ausdruck, was er von Menschen hält, die sich auf ihr gesundes Vorurteilvermögen verlassen, dabei schwingt mehr als nur ein wenig Verachtung in seiner Stimme mit: “Es gibt aber auch Leute, die nur einen halben Song hören und dann behaupten, das Album sei scheiße.. Nun, wenn diese Leute so drauf sind, von mir aus! Mich kümmert das wirklich nicht.”

Den Vorwurf des kommerziellen Kalküls, den sich wohl so ziemlich jede Band im Laufe der Zeit aus irgendeiner Ecke anhören muss, lässt er nicht gelten: “Es interessiert uns einfach nicht. Es gibt immer wieder Gästebucheinträge, in denen behauptet wird, Amorphis würden jetzt mit ihrer Musik sehr viel Geld verdienen und das ganze blah blah. Es ist einfach dumm, denn die “Tales…” hat sich besser verkauft als jedes andere Amorphis Album. Wenn wir wirklich Geld machen wollten, würden wir dort weitermachen. Manche Leute verstehen einfach nicht, dass wir keine dicken Schecks bekommen – im Gegenteil, es ist für uns ziemlich schwer, von der Musik zu leben.”

Auf der “Tuonela” war ein Song “Summer´s End” betitelt – ein Titel, der genau die Atmosphäre von “Am Universum” einfängt – für Tomi hat dieser Song eine besondere Bedeutung: “Ich denke, Summer`s End hatte ein besonders Feeling – der Song spiegelt die Atmosphäre der Band wieder – Amorphis ist wie ein klassisches Orchester, alle sind gleichwertig, es gibt keinen Frontmann.”

Interessanterweise ist der Text zu “Summer`s End” gar nicht von Amorphis, sondern wurde von Antti Litmanen, Gitarrist bei den Babylon Whores, geschrieben. Es gibt aber durchaus Parallelen zwischen diesem Stück und den aktuellen Titeln: “Summer´s End haben wir im Studio gemacht. Wir hatten einige Idee, aber letztendlich ist der Song im Studio entstanden. Für “Am Universum” haben wir genauso gearbeitet, wir haben viel gejammt. “Crimson Waves” entstand zum Beispiel komplett im Studio. Man darf Songs nicht zu sehr planen.” Musik muss aus dem Bauch kommen und darf nicht konstruiert werden, eine Arbeitsweise, die die Band wohl seit “Tuonela” als oberste Maxime benennt. Der Song “Northern Lights”, der auf dem im Februar erschienenen Relapse Sampler Contaminated 3.0 im Januar erschienen ist, zeigt, dass Amorphis bereits vor Jahren mit Gejamme und Improvisation liebäugelten. “Wir haben “Northern Lights” bei der “Tuonela” Session aufgenommen – es ist ein Song, bei dem wir nicht allzu viel gedacht haben. Man darf Musik nicht tot-denken! Es kann sicherlich gut sein, wenn man Songs zwei Jahre im Proberaum spielt, aber zu uns passt das nicht. Wenn man zuviel denkt, verlieren die Songs ihre Frische.”

Dass “Am Universum” eher zur Sorte “handgemachte, spontane Musik” zählt, dürfte unüberhörbar sein – wobei die Band auch moderne Klänge mag, allerdings zwischen persönlichen Vorlieben und der Band trennt: “Wir mögen Musik, die von Maschinen kommt auch sehr gerne. Allerdings passen diese modernen Sounds nicht zu Amorphis. Alles, was du auf dem Album hörst, ist handgemacht. Die Effekte, die wir benutzt haben sind aus den Siebzigern, das meiste waren analoge Geräte.”

Die Vorliebe für die leicht angestaubte, aber gerade auch deshalb so warme und organische Musik der Siebziger Jahre ist schnell und einfach erklärt: “In den Siebzigern gab es einfach die besten Bands – damals zählte noch die Musik. Heute sind Dinge wie Plattenlabels oder Image viel wichtiger. Ich liebe die Musik dieser Zeit, ich war damals zwar ein Kind, aber zu manchen Bands habe ich einfach eine sehr nostalgische Verbindung. Ich mag den Sound dieser Alben. Wir werden natürlich jetzt nicht genauso arbeiten und die Drums mit nur einem Mikrophon abnehmen. “Am Universum” klingt, als ob Menschen aus Fleisch und Blut spielen. Heute erinnern zum Beispiele viele Schlagzeugsounds wie eine Maschine – etwas, was wir auf keinen Fall wollen.”

Eine quasi neue Erfahrung war es für die Finnen, dass sich eine Band das Songwriting teilt. “Wir hatten oft das Problem, dass wir ins Studio gegangen sind und neue Bandmitglieder dabei hatten, die nichts zum Songwriting beitragen konnten. Dieses Mal war das anders: Wir haben viel als Band geprobt und auch Niclas, unser neuer Bassist, hat an den neuen Songs mitgeschrieben. Es ist das Album einer ganzen Band, nicht das eines Songwriters.”

Wem die neuen Amorphis denn nun gefallen wird, kann Tomi selbst nicht einschätzen: “Keine Ahnung, wer unsere Musik mag. Ich habe mit unserem Keyboarder Santeri darüber nachgedacht, weil die “Alone” Single in Finnland so gut lief. Wir konnten uns aber beide nicht vorstellen, wer all diese Singles gekauft hat. Wir werden es an den Gigs sehen. Ich schätze, die Hälfte des Publikums besteht aus unseren alten Fans, die uns seit Anfang an begleiten. Insgesamt müssen es wohl Leute sein, die nicht nur einen Stil hören. Es gibt genug, die von einer Band hören und sich dann überlegen, ob das Metal ist – wenn es Metal ist, dann finden sie es gut, sonst nicht. Diese Leute werden uns wahrscheinlich nicht mögen, aber Leute, die Musik nach gut und schlecht bewerten, werden sich vielleicht für “Am Universum” interessieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir einigen Amorphis Fans “gezeigt” haben, dass es auch außerhalb des Metal gute Musik gibt. Das ist ein gutes Gefühlt, denn es ist Blödsinn, sich selbst zu beschränken und nur Musik zu hören, die man kennt.”

Zurück zum aktuellen Album, “Am Universum” scheint mir ein sehr emotionsgeladenes Album zu sein. Ein Thema, das Tomi wohl nicht sonderlich behagt, es suchte nach Worten, um diese Wirkung zu umschreiben: “Es gibt eine Menge Kleinigkeiten auf diesem Album, die du beim ersten Mal noch gar nicht wahr nimmst. Die Musik drückt wohl viele verschiedene Stimmungen und Gefühle aus. Die Songs sind ziemlich vielschichtig, es passiert sehr viel. Es gibt viele versteckte Momente auf “Am Universum”. Ich weiß nicht recht, wie ich das erklären soll – es ist verdammt schwer, das in Worte zu fassen…”

Weit auskunftsfreudiger zeigte sich Tomi, als ich ihn auf Pasis Gesang ansprach, der sich noch mal steigern konnte. “Simon (Efemy – der Produzent) hat einen super Job mit Pasi gemacht. Pasi ist eher ein Geschichtenerzähler al sein Sänger, das hat Simon sehr gut herausgearbeitet. Ich habe selbst bemerkt, wie groß seine Fortschritte sind, als ich mir neulich ein paar Tracks der Elegy angehört habe. Da war der Gesang nicht wirklich gut!”

Bereits auf “Tuonela” war vereinzelt ein Saxophon zu hören, für “Am Universum” engagierten Amorphis wiederum Sakari Kukko von der finnischen Band Piirpauke: “Wir sind schon immer große Fans von Piirpauke – Sakari ist nicht wirklich ein Idol, aber er ist ein Musiker, dem in Finnland viel Respekt entgegengebracht wird. Wir fragten ihn, ob er wieder mitmachen wolle. Er sagte zu, dabei kannte er die Songs vorher gar nicht. Er kam vorbei und hat einfach mitgejammt, Sakari ist über 40, er ist völlig entspannt und trotzdem genauso verrückt wie wir, haha. Piirpauke haben uns gezeigt, das ein Saxophon gut zu uns passen würde, weil es so gefühlvoll klingt.”

Ob und wie sich diese Zusammenarbeit live umsetzten lässt, steht jedoch noch in den Sternen. “Wir wollen ein paar Festivals oder Gigs in Finnland mit ihm spielen, wissen aber noch nicht, ob das klappt – er ist ziemlich beschäftigt. Vielleicht werden die Sax-Sounds von Santeri (Amorphis-Keyboarder) übernommen.”

Für Tomi sind Festivals ein guter Rahmen, um die neuen Songs zu präsentieren, allerdings auch nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: “Ich denke schon, dass die neuen Songs auch auf Festivals funktionieren werden. Vielleicht nicht bei Festivals, wo Limp Bizquit oder andere Hüpf-Metal Bands spielen. Aber ich denke, dass die Songs zu finnischen Festivals, wo es einen See gibt und die Sonne scheint, perfekt passen.”

Es gibt ihn also doch noch, den Bezug zu Finnland. Die Texte hingegen handeln nicht mehr von der Mythologie des Herkunftslandes der Band, Pasi beschreibt in den Lyrics seine ganz eigene Welt – ein Schritt, der durchaus seine Gründe hat: “Besonders in Finnland haben sich alle Magazine nur für die Texte interessiert. Ich denke, dass Finnen ein geringes Selbstbewusstssein haben. Wir sind nichts.. haha.. wenn eine Band in Finnland berühmt werden will, dann muss sie erst betonen, wie viele Alben sie in anderen Ländern verkauft hat. Erst dann mögen Finnen diese Band… Bei uns war es halt so, dass immer gesagt und geschrieben wurde, dass wir unser Nationalepos, die Kalevala, der Welt vorstellen. Wir wollten aber nie “Botschafter” sein. Das Wesentliche, die Musik, wurde nur am Rande wahrgenommen.”

Die Einschätzung, dass “Am Universum” auf den Hörer wie eine Droge wirkt, ihn einlullt und entschweben lässt, freut den Gitarristen: “Gut zu hören. Genau dieses Gefühl macht Musik für mich aus. Man muss beim Musikhören alles andere vergessen. Ich mag auch gerne “Drinking Musik”, also Bands, die du auch auf irgendwelchen Parties hören kannst. Aber eigentlich muss Musik eine Art Ausweg aus allem sein – du sollst alles vergessen, wenn du sie hörst.”

Eine Qualität, die Tomi in der Metalszene etwas zu vermissen scheint, sein Interesse an dieser Stilrichtung ist nicht mehr sehr groß: “Manchmal höre ich mir noch Metal an – wenn es gute Songs sind. Ich mag Black Metal oder so etwas nicht. Ich denke, es gibt zu wenig Neues, die Metalszene bewegt sich im Kreis. Dieses Comeback des Power Metals, wie man ihn schon aus den Achtzigern kennt, interessiert mich überhaupt nicht. Das Zeug hat mir früher mal gefallen, aber heute…?”

Zum Abschluss sollte Tomi noch ein paar Begriffe kommentieren – leider war die Zeit für das Interview schon so weit fortgeschritten, dass es nur noch für ein paar sehr kurze Statements reichte:

Drogen:

Harte Drogen machen dich kaputt

Death Metal

Growling, schnell, aggressiv

Erfolg

Manche können damit umgehen, manche nicht.

Religion

Es ist lustig, wenn Leute denken, dass wir Christen wären. Keine Religion bedeutet uns etwas. Religion hat nichts mit Musik zu tun. Auch nicht im Black Metal! Das Image spielt da wohl eine sehr große Rolle…

Finnland

Seen, Reinheit und Wälder.

Alkohol

Nun, wir trinken viel davon, denn wir sind finnisch.

Weitere Infos im Netz:www.amorphis.net

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