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Leute, die man keinesfalls treffen will: der Konzertdepp

Folgendes Szenario kennt jeder: Du gehst zu einem Konzert, auf das Du Dich seit Wochen freust und dann steht die mit Abstand dümmste Person zwischen Flensburg und Konstanz direkt neben Dir: Der Konzertdepp.

Folgendes Szenario kennt jeder: Du gehst zu einem Konzert, auf das Du Dich seit Wochen freust und dann steht die mit Abstand dümmste Person zwischen Flensburg und Konstanz direkt neben Dir. Das wäre ja nicht weiter schlimm, wenn besagte Person nicht meinen würde, eben jenes mangelnde Einfühlungsvermögen, das man auch auf lauten Rockkonzerten nicht missen möchte, deutlichst unter Beweis stellen zu müssen. Doch darin sind manche Menschen zu wahren Meisterleistungen fähig.

Das Verhaltensrepertoire einer bestimmten Erscheinungsweise dieser Menschen, nämlich das des sogenannten Konzertdeppen, weist einige Besonderheiten auf: Bereits bevor die erste Vorband anfängt, glänzt er mit Fachwissen: Ich bin sowieso bloß wegen XY da – die anderen Bands gefallen mir nicht. XY ist in den meisten Fällen genau die Band, die DICH überhaupt nicht interessiert, und die aus völlig unverständlichen Gründen leider mit auf dem Billing steht. Der Konzertdepp wird nicht müde, seine musikalischen Präferenzen zu betonen, was umso schlimmer ist, da er keinesfalls mit englischer Phonetik vertraut ist und hartnäckig jeden, aber auch wirklich jeden Bandnamen falsch ausspricht. Die Tatsache, dass er sich aber ohnehin nur eine Band ansehen will, hält ihn natürlich nicht davon ab, sich breitbeinig und mit der ich habe heute Rasierklingen unter den Armen-Haltung in den ersten Reihen breit zu machen – ganz besonders schlimm ist das, da diese Typen grundsätzlich im Rudel auftreten. Der Konzertdepp bringt immer mindestens einen Kumpel mit, oder schlimmer, mehrere Kumpels oder am allerschlimmsten, er hat nur seine Freundin dabei, die nur aus Gefälligkeit mitgekommen ist und wiederum nicht müde wird, ihm dies auf mehr oder weniger subtile Weise unter die Nase zu reiben. Hier stinkt es. Trink nicht schon wieder so viel Hoffentlich wird es nicht so laut oder Mir ist warm.

Der normale Konzertbesucher harrt voller Vorfreude der Dinge, die da kommen sollen – gestört wird diese durchaus notwendige und schöne mentale Einstimmung durch unqualifizierte Kommentare. Ganz schlimm ist es, wenn der Nebenmann einen Kollegen oder entfernten beziehungsweise einen etwas entfernt stehenden Bekannten erblickt. Mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit werden dann über mehrere Reihen hinweg Banalitäten ausgestaucht, wobei die sogenannte Idiotenfrage Ach, was machst du denn hier? oder alternativ Tagchen. Auch beim XY-Konzert? grundsätzlich zuerst gestellt wird. Ich meine, welchen Zweck erfüllen diese Fragen?! Was wird er wohl hier machen?! Nun, der normale Mensch geht davon aus, dass man auf ein Konzert geht, um BANDS zu sehen. Nicht so der Konzertdepp. Nachdem ja nun schon ein paar Leute (und DU) wissen, dass er außer einer Band (namens XY) niemanden sehen will, hat er nun auch die Gelegenheit, dies je nach Größe der Venue 10 bis 90 % aller Anwesenden mitzuteilen.

Noch fataler, wenn auch auf den zweiten Blick weitaus weniger dämlich, ist die Alternativfrage – damit haben die Herrschaften nämlich gleich einen gemeinsamen Punkt entdeckt. Beide sind wegen Band XY da, der Rest interessiert sie nicht, weil… Ja, warum eigentlich? Genau diese Frage stellt man sich in der unmittelbaren Umgebung allmählich auch. Doch es besteht die Hoffnung auf Aufklärung. Der Konversationspartner des Nebenmanns wird alsbald feststellen, dass die Unterhaltung über eine gewisse Distanz durchaus unpraktisch ist. Also setzt er sich in Bewegung – der Konzertdepp selbst wird mit eiserner Beharrlichkeit den gesamten Abend neben DIR stehen bleiben!!! – und kämpft sich mit Freundin im Schlepptau, Bierbecher in der rechten und brennender Kippe in der linken Hand, im schlimmsten Fall noch einen Rucksack auf dem Rücken, oder am allerschlimmsten vor dem Bauch durch die Menge und drängelt sich scham- und rücksichtslos bis zum Objekt der Begierde.

Genau in diesem Moment geht das Licht aus – was natürlich sofort mit einem prä-humanen Johlen quittiert wird – und die Band wegen der DU da bist, beginnt zu spielen. Davon siehst du aber nichts, denn die Größe von Konzertdeppen berechnet sich immer und ausnahmslos folgendermaßen: eigene Körpergröße plus ein Wert, der immer größer als 15 cm ist, eigene Schulterbreite plus ein Wert, der immer größer als 20 cm ist. Solltest DU noch ein Bier/eine Cola/ einen Prosecco in der Hand halten, tust du gut daran, ihm möglichst schnell leer zu trinken, er wird Dir nämlich mit 250%iger Sicherheit aus derselben entfernt, entweder mit dem bereits erwähnten Rucksack oder einfach so – der Konzertdepp tendiert, sich wenn überhaupt, nur sehr linkisch und ungeschickt zu bewegen. Überflüssig zu erwähnen, dass sich sämtliche Kumpels sowie deren Freundinnen mittlerweile genau eine Reihe vor dir häuslich eingerichtet haben.

Hast Du dann so in der Mitte des ersten Songs der Band, deretwegen DU hier bist, endlich eine Lücke erspäht und erhaschst so endlich einen Blick auf die Bühne, kannst du sicher sein, dass die Menschen vor Dir auf die brillante Idee kommen, einen zu trinken. Zur Erinnerung: Ihr steht alle relativ weit vorne, schließlich willst DU Bands sehen und auch der Konzertdepp hat zumindest Interesse an Band XY! Genau im Moment der ersten Ansage wird dann eine Reihe vor dir lautstark diskutiert, wer denn nun Getränke holen geht – natürlich verstehst DU kein Wort von der Ansage, und darfst stattdessen Perlen des feinsinnigen Humors wie: Ganz schön trockene Luft hier, ich hole mal was zum hinter die Binde kippen genießen. Damit nicht genug, einer der Typen wird sich umdrehen, genauer gesagt: Derjenige, der genau vor Dir steht wird sich umdrehen, einen ersten Schritt machen – der ihn genau auf deinen Fuß, respektive die Stelle deines Fußes, an der die Stahlkappen zu Ende sind, treten lässt. Mittlerweile ist die Band, wegen der DU die ganzen Unbequemlichkeiten auf dich genommen hast, erstaunlicherweise bei Deinen absoluten Lieblingstrack, den sie sonst nie spielen, angelangt – DU pfeifst auf den Schmerz in deinem Mittelfußknochen und beginnst, zu bangen. Gerade dann, wenn du dich richtig schön eingegroovt hast, wird dein Vordermann – der durch diverse humoristische Kleinode wie aber nicht der Barfrau zu lange in der Ausschnitt glotzen, die hat sooooooooooooolche Ohren, begleitet von meckerndem Gelächter und strafendem Blick der weiblichen Begleitung, aufgehalten wurde, losmarschieren und deine Haare werden sich todsicher im Hemdknopf (sagt alles, oder?! Wer geht in einem HEMD zu einem Konzert?!) verfangen.

Jetzt ist er da. Der Moment der direkten Konfrontation. In diesem Fall ist es das einfachste, wortlos die Haare aus dem Hemdknopf zu zwirbeln, den verdutzen Konterdeppen zu ignorieren und die entstandene Lücke in der Reihe vor dir zu nutzen und sich mit einem beherzten Schritt nach vorne freie Sicht auf die Bühne zu verschaffen. Schließlich willst DU die Band sehen! Abgesehen von leicht störenden Kommentaren, die von der Begleitung des Konzertdeppen über dich hinweggebrüllt werden Nein, ich sage es doch immer. Die waren doch noch nie gut. Der Gitarrist von XY ist eh einer der besten und dann Sag mal, findest du auch, dass der Manni (Konzertdeppen haben immer Namen wie Manni, Manne, Micha, Jörgi, Klaus) zugenommen hat? genießt du das Konzert und freust dich über DEINE Lieblingsband.

Genau bis zu dem Moment, in dem Manni/Manne, Micha, Jörgi, Klaus zurückkommt – beladen mit etlichen Bieren und Cola für die Damen, die er erstaunlicherweise unfallfrei bis zu seinem angestammten Platz durchgebracht hat. Bis jetzt. Denn er wird dir mit Sicherheit die Cola – klebt schließlich am besten – über die Schulter, den Rücken oder über den Kopf (schließlich ist er ein gutes stück größer als DU) schütten und statt sich zu entschuldigen, dir ins Ohr speicheln. Feuchte Aussprache ist ein Muss für Konzertdeppen! Du wirst ihn irritiert und unwillig ansehen, denn soeben hast du wieder etwas wesentliches auf der Bühne verpasst. Der Konzertdepp wird dich ebenso unwillig ansehen, denn DU findest schließlich offensichtlich nicht nur Band XY, sondern auch die Vorgruppe, die ja keiner sehen will, gut, was dich in seinen Augen als Volltrottel outet. Du gehst davon aus, dass er sich entschuldigen wollte – und versuchst, das nun wirklich unvermeidliche Gespräch mit einem Jaja, ist schon ok abzublocken. Er hingegen wird Dich mürrisch ansehen, mit seinem Bierbecher vor deiner Nase herumfuchteln, wobei er natürlich die Trägheit der darin enthaltenen Biers großzügig ignoriert und du nun rein theoretisch in der Lage wärst ein Diesel (für norddeutsche: Cola-Bier) aus deinem Shirt/deinen Haaren zu saugen und dich anblöken, dass du auf seinen platz stündest. SEIT WANN GIBT ES BEI KONZERTEN PLATZKARTEN?! Auch in diesem Fall hilft Ignoranz weiter, sprich, einfach Umdrehen wirkt Wunder! Erstens wirst du noch am Rande das Finale des gnadenlos guten Schlagzeugsolos, der Hinrichtung der Show-Puppen, der wahnsinnig geilen Pyro-Effekte, oder der Bodenlandung eines betrunkenen Musikers (gilt nur für Sentenced!) erleben.

Hinter beziehungsweise neben Dir werden nun nach anfänglichen Unmutsäußerungen umständliche Trinkrituale praktiziert. nuff dr´ kolba, nei dr` zenka, morga müssa mr`wasser trenka (sinngemäße Übertragung: lasst uns heute dem Biere frönen, denn morgen werden wir Wasser trinken müssen. Regional unterschiedlich ausgeprägte Trinksprüche sorgen für ein authentisches Lokalkolorit). Zugeprostet wird wiederum unter Nichtbeachtung des Trägheitsgesetztes, aber das macht das Shirt nun auch nicht noch mehr nass.

Im Prinzip könntest DU nun die beiden letzten Tracks DEINER Band in Ruhe genießen, wären da nicht die Ängste des Hintermannes, der durch seinen selbstlosen Einsatz am Ausschank seinen Platz verloren hat – und das, wo er doch nur wegen XY da ist, die demnächst anfangen werden. Da ihm der Gedanke, dass jemand bei Band XY freiwillig seinen Platz räumen könnte, nicht nur fremd und komplett abwegig sondern völlig aus der Luft gegriffen erscheint, wird er alles daran setzten, DICH zu vertreiben. Er wird laut aufstoßen, und Dir und allen anderen im Umkreis von ca. 5 Metern nonverbal mitteilen, dass er vor dem Konzert einen Döner Kebap/Gyros mit Zaziki gegessen hat. Er wird sich eine Kippe anzünden. Er wird seinen Bauch gegen deinen Rücken drücken – und wenn er wirklich einen Rucksack vor selbigen geschnallt hat, dass wird er den Verschluss genau auf deiner Wirbelsäule platzieren. Er wird lauthals seinen Unmut über das Dargebotene äußern. Das alles wirst DU ignorieren, schließlich hast du freie Sicht auf die Bühne, schließlich hast Du schon genug von deiner Lieblingsband verpasst. Der wahre Horror kommt noch. Denn irgendwann wird deine Lieblingsband ihren letzten Song ankündigen – die einzige Ansage, die du in voller Länge hören wirst, die du aber leider nicht hören WILLST – und natürlich keine Zugabe spielen, da sich heute sehr viele Konzertdeppen in der Halle aufhalten. Wenn du Glück hast (wobei dies eine Frage der Sichtweise ist) wird nun Band XY die Bühne betreten, und da DICH diese Band nicht interessiert, wirst du Dich – wie sich das für anständige Konzertbesucher gehört – zurückziehen, ein Bier holen, dieses Bier in Ruhe halbleer trinken, zum Merchandise-Stand schlendern, dort einen Bekannten treffen, Dich mit ihm gemeinsam darüber aufregen, dass Band XY vor eurer Lieblingsband spielt, ein Shirt deiner Lieblingsband kaufen und dabei deinen verbleibenden halben Becher Bier der erstbesten Person mit einem Shirt der Band XY aus Versehen über selbiges schütten und halbwegs glücklich die Halle verlassen oder mit einem erhabenen Gefühl die ganzen Konzertdeppen beobachten.

Wenn du Pech hast (was, wie bereits erwähnt, eine Frage des Standpunktes ist), dann spielt noch eine Band, die DU magst. Du wirst in der Umbaupause durch die Hölle gehen. Jetzt wird dein Hintermann richtig auffahren und seine Kumpels werden mitmachen, während dich seine Freundin anlächelt – oder seine Freundin wird ihn unterstützen, während sein Kumpel zu dir lächelt – abhängig von deinem Erscheinungsbild. Zuerst wird er dich eiskalt seine Verachtung spüren lassen. Er wird über deine Band herziehen, er wird Deine Band mit Band XY vergleichen (das schmerzt – alleine die Tatsche, dass er es wagt, diese Bands auf eine Stufe zu stellen!), DU wirst geduldig alles ignorieren, er wird resignieren – doch jetzt wird es richtig böse: er wird auf den Gedanken kommen, seine Freunde mit Geschichten aus seinem täglichen Leben zu erheitern. Du wirst dir wünschen, die Pausenmusik sei ohrenbetäubend. Das Erzählen uralter Witze, die auch schon vor 15 Jahren einfach nicht witzig waren, gehört zu seiner Spezialität. Das Lobpreisen völlig überbewerteter Bands gehört natürlich auch dazu. Er wird nochmals Bier holen. Er wird – ganz furchtbar – anfangen, über Musik zu reden. Er wird seine Lieblingsbands aufzählen. Mit jedem Bandnamen, den er falsch ausspricht, werden deine Qualen größer – nicht nur wegen des völligen Mangels an Sprachgefühl, nein, die Bands an sich werden dich erschaudern lassen. Er wird Wings of Change pfeifen, er wird Enter Sandman als besten Metallica Song bezeichnen, er wird Carry On anstimmen, er wird sich als FC Bayern /VfB Stuttgart Fan outen, er wird dich verbal quälen, bis du dich einmal umdrehst – und dann wird er dich zulabern. Er wird dir ein Gespräch aufzwingen, wie toll XY sind – DU wirst wieder eine Band, wegen der DU eigentlich da bist, verpassen….

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