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CRYPTOPSY – Interview mit Jon Levasseur

Ein Interview mit Jon Levasseur, Gitarrist bei der kanadischen technisch-präzisen Death-Metal Truppe CRYPTOPSY…

Laut Vereinbarung mit den Jungs von der kanadischen Death-Metal-Band Cryptopsy sollte einer von Ihnen um 21.00 bei uns zu Hause anrufen und mit mir ein bisschen über die Band und das aktuelle Album And Then You´ll Beg plaudern. Pünktlich auf die Minute läutete das Telefon und es meldete sich eine überaus freundliche Stimme. Es war Jon, einer der Gitarristen der Band. Er ist ein sehr friedlicher Typ und wir redeten zu Beginn über alles Mögliche…

Nach einem kleinen Pläuderchen über europäische Fahrgewohnheiten und Autos (Jon fährt einen Ford Astro Minivan), dass er Autos mit Kupplung nicht beherrscht (er hat da so seine Erfahrungen mit der Marke Opel) und über japanische Automobile (Jon: you can´t kill a japanese car) und dass daher der Nissan Micra seiner Freundin unzerstörbar sei, lenkte Jon danach das Gespräch zum Thema Musik.

Da wir es gerade über Japan hatten, erzählte Jon gleich, wie unterschiedlich japanische Fans gegenüber europäischen oder amerikanischen Fans seien.

– Jon: Ein grosser Unterschied ist, dass an Konzerten während Umbaupausen keine Musik gespielt wird und dass die Japaner auch kein Bier reinschütten, sondern einfach nur herumstehen und auf den Auftritt warten. Als wir dann auf die Bühne gingen und die Gitarren einstöpselten, ging in der Menge die Post ab und die Fans waren wie verrückt. Auch wenn die japanischen Fans sehr extrem sind, hat aber jeder seine Kamera dabei und alle knipsen Photos wie wild. Das Besondere an diesem Konzert war, dass wir alleine spielten d.h. es gab keinen Opening-Act. So hatten wir ganze 75 Minuten Spielzeit (obwohl wir an diesem Abend schrecklichen Sound hatten).

Wie lange spielt Ihr denn sonst?

Nun, wenn wir mit mehreren Bands zusammenspielen, dann bleiben uns teils nur läppische 30 Minuten, was viel zu kurz ist. Aber das kommt daher, dass manchmal viel zu viel Bands an einem Abend auftreten. Meiner Meinung nach sind 3-4 Bands O.K., 5-6 Bands werden langsam zuviel.

Er erzählte noch weitere Anekdoten über die Tourneen vom vorletzten Jahr und dass ihr Auftritt im Z-7 in Pratteln (als sie im Juni 1999 mit Six Feet Under, Vader, Enslaved und ihren Tourkollegen Nile und Thyrfing unterwegs waren u.a. auch am D.O.A), einer der Besten gewesen sei. Anschliessend redeten wir über ihr neuestes Album And Then You´ll Beg. Als erstes wollte ich wissen, wovon die Lyrics vom neuen Album handeln.

Mit Ausnahme von Back to the Worms, welcher noch in unseren Anfängen von Lord Worm, unserem Ex-Sänger geschrieben wurde, sind die restlichen Lyrics von Mike geschrieben. Darin geht es im allgemeinen über die Realität, Depressionen, über Gutes oder Böses im einzelnen menschlichen Individuum. Wir sind von den den Genre-typischen Gore-Lyrics (Eingeweide-Fantasien, Blut, Knochen u.ä.) weggekommen. Für eine gewisse Zeit war es cool und unser Ex-Sänger war ein Fan von Slasher-Texten – aber mit der Zeit (seit Whisper Supremacy) sind wir musikalisch extremer geworden und haben Einflüsse auch aus anderen Musikrichtungen mitbekommen. Folglich handeln unsere Songs über das wir sind alle gleich und wie der Mensch damit umgeht sowie noch anderen Themen.

Kannst mir ein Beispiel erläutern?

In Equivalent Equilibrium geht es über das Gute und Böse in jedem einzelnen Menschen auf diesem Planet und wie wir das balancieren, um nebeneinander zu existieren. Das Ganze begann mit dem Tier ohne jegliche Zivilisation. Es geht nicht um Gott oder Satan oder ob einer das Gute oder Böse repräsentiert, sondern um das, was in uns ist und wie wir damit umgehen.

Was spiegelt denn der Titel des Albums and then you´ll beg wider?

Wir wollten einen Albumtitel, der etwas Süsses hat, der einprägsam ist, an den sich jeder gut erinnern kann, der aber nicht zu gewalttätig ist. Er lässt auch jedem offen, denn Sinn selber zu deuten…

Woran denkst Du denn?

(lacht) na ja, Cryptopsy zu hören fühlt sich an wie von einem Zug überfahren zu werden, nicht? Oder, dafür zu beten, (nicht) von einem Zug überfahren zu werden; oder darum zu flehen, die CD hören zu dürfen (!) oder eher nicht mehr hören zu müssen. Vielleicht flehen die Eltern unserer Fans, damit die CD bald zum Player rausgenommen wird.Sowohl das Cover als auch der Titel lässt jede Interpretation offen, jede ist so gut wie die andere.

Zum Songwriting: Gerüchten zur Folge sollen die Drumlines bereits stehen, bevor die Riffs geschrieben werden, stimmt das?

Nein! Wir alle sind am Songwriting beteiligt. Unser Bassist z.B. hat auch schon einen kompletten Song ganz alleine geschrieben.

Wie lange braucht es denn, bis solch komplizierte Songs geschrieben sind?

Nun, das kommt drauf an. Voice of Unreason wurde von Flo und mir innert nur vier Stunden geschrieben, so schnell mal um 11 Uhr morgens. Ich habe meine Inspirations-Höhenflüge meistens am Morgen, wenn ich ausgeschlafen bin. Ein wichtiger Punkt trägt dazu bei, dass die Chemie zwischen mir und Flo sehr gut funktioniert. Wir verstehen einander sehr schnell, wenn der eine dem anderen etwas zu erklären versucht. Das erleichtert das Schreiben von Songs sehr. Die übrigen Bandmitglieder sind auch immer mehr dran, dem Ganzen mehr Input zu geben. Je nach dem dauert es manchmal zwei Wochen oder zwei Monate, bis ein Song ausgereift ist.

Angenommen, einer von Euch schreibt einen Song – wie kann er den anderen seinen Song oder seine Ideen beibringen?

Erstens ´mal braucht es sehr viel Zeit und Geduld. Es ist schwierig, den anderen ein Riff beizubringen, das zum Teil vorerst nur in den Gedanken vorhanden ist. Wenn ich z.B. meine Ideen den andern weitergeben möchte, dann zeige ich ganz einfach die Riffs, wie man sie spielt. Und so werden die Songs Riff um Riff eingeübt.

Mir persönlich gefällt der fünfte Song des Albums Shroud. Man hat so das Gefühl, die Gitarren würden sich gegenseitig jagen. Vor allem die schnellen, melodiösen Parts haben es mir sehr angetan.

– Jon: Aha, Du meinst das Nintendo-Riff??? Ja, ich weiss. Es sind wirklich teils sehr melodiöse und eingängige Riffs, die einem immer wieder im Kopf umherschwirren.

Nintendo-Riff??? Ehm, schreibt Ihr Eure Riffs oder Songs mit dem Computer?

Nein, es wird alles von Hand eingespielt. Beim Songwriting werden die Riffs auf Tape aufgenommen und gegebenenfalls im Computer zusammengemischt. Musik aus dem Computer gibt´s bei uns an sich nicht. Mal abgesehen von einzelnen Samples.

Wie bringt es Euer Drummer eigentlich fertig, so schnell zu spielen und auf so eine vertrackte Weise? Ist der Junge auf Speed oder was ähnliches?

Nein, überhaupt nicht!!! Unter Drogeneinfluss könnte er gar nicht spielen. Wir alle müssen völlig nüchtern sein, wenn wir zusammen spielen, sonst bringt es nichts. Es geht alles derart schnell bei uns, dass jeder vollkommen bei der Sache sein muss. Verpasst einer ein Riff, ist es sehr schwer, sich im Song wieder zurechtzufinden. Jeder von uns gibt alles, Alkohol oder Drogen haben da nichts verloren (Natürlich kippten wir nach den Konzerten ein/zwei Bier, aber nach einem Gig ist das ja normal). Ehm, was Flo´s Drumkünste angeht: Üben, üben und nochmals üben! Das wär´s. (das Bassdrum auf dem Album ist übrigens getriggert)

Wie oft seid Ihr eigentlich am Proben?

– Jon: Wir sind drei- bis viermal in der Woche im Proberaum bzw. so 12-15 Stunden.

Wann habt Ihr eigentlich als Band angefangen?

– Jon: Die Band unter dem Namen Cryptopsy entstand im Jahre 1992 mit Ex-Mitgliedern der Bands Reactor (Dave Galea) und Necrosis (Lord Worm, Steve Thibault und Flo Mounier). In der Zeit davor war es auch nicht wirklich Death-, Grind oder sonstiger Extreme-Metal, sondern eher Death-/Thrash-Metal. Nachdem mit Kevin Weagle ein Bassist gefunden war, wurde das Demo Ungentle Exhumanation aufgenommen. Kurz bevor das Debüt-Album Blasphemy Made Flesh aufgenommen wurde, verliess Dave die Band und meine Wenigkeit kam dazu. In der darauffolgenden Zeit gab es einige Wechsel. Eric ersetzte Martin Fergusson (welcher bereits Kevin ersetzt hatte), Mike ersetzte Lord Worm nach einer 3-wöchigen Kanada-Tour (zu None So Vile). Alex stiess erst 1998 zur Band und ersetzte dadurch Miguel Roy.

Welche Bands gehören zu den Einflüssen Eurer Musik?

Na ja, was mich vor allem beeinflusst hat, sind die folgenden zwei Bands bzw. ihre Veröffentlichungen: Retribution von Malevolent Creation und Effigy of the Forgotten von Suffocation was die Brutalität angeht. Zu unseren weiteren Einflüssen zählen Napalm Death, Entombed, Carcass (Heartwork) und was wir sonst noch gerne hören.

Was hältst Du von Morbid Angel?

– Jon (O-Ton): Aaah, that´s simple: Morbid Angel are The Godfathers!!!

Du hast vorhin etwas von Einflüssen anderer Musikrichtungen erzählt; was zählt Ihr denn gerne hinzu, was nicht wirklich Metal ist?

Dazu gehört verschiedenes: unter anderem Funk, Klassik, Blues, Progressive Rock, Jazz… (ich persönlich höre noch gerne Dream Theater)

Mit welchem Equipment spielt Ihr eigentlich?

Seit kurzer Zeit prügelt Flo auf einem neuen Pearl Maple Custom, ich spiele eine Fender (EMG-Pickups) mit Mesa Rectifiers, Alex spielt auch auf den Rectifiers. Der Gitarren-Sound auf dem neuen Album stammt von meiner Fender.

Du spielst Fender ?!?!?

Yepp!…….ich spiele Fender! Ich bin halt ein traditioneller, altmodischer…

…Jimi Hendrix?

Neee! Ich habe halt EMGs eingebaut und habe aber unter anderem auch eine Jackson.

Das Interview wurde dann für etwa eine halbe Stunde unterbrochen, weil Jon sich noch um ein Interview eines Lokalradios kümmern musste. Er versprach mir aber, mich innert maximum 30 Minuten wieder anzurufen, um mit dem Gespräch weiterzufahren. Pünktlich, wie vorhin, läutete das Telefon erneut.

– Jon: Okay, das wär´s gewesen. Ich musste bei diesem Radio genau um 10.00 Uhr Eurer Zeit anrufen, weil es um ein Live-Interview ging. Sorry! Hast Du noch viele Fragen?? Nur weil ich noch was futtern muss und anschliessend in die Bandprobe…

Na dann: Wie alt seid Ihr eigentlich?

– Jon: Uhm, also ich bin 25 und somit der Jüngste in der Band. Mike ist 29, Flo 26, Eric 27 und Alex ist der Älteste mit 30 Jahren.

Und wie verdient Ihr Euren Lebensunterhalt? Ich nehme jetzt an, dass Ihr von der Musik nicht leben könnt.

Nein, tatsächlich nicht. Wir sind alle irgendwo angestellt, meist Teilzeit. Sind wir einmal nicht auf Tour, dann geht jeder von uns ganz normal arbeiten.

Was denn?

– Jon: Nun, Eric arbeitet in einem Warenhaus, ich arbeite in einer Autovermietungsfirma. Mike und Flo sind im Tele-Marketing tätig und Alex ist Chef.

Du meinst, er kann kochen???

Oh ja. Er ist sogar ein sehr guter Koch…

Tja, nach fast anderthalb Stunden telefonieren ging mir allmählich die Puste aus und ich entliess Jon in seine Bandprobe.

(Photo credits: David Kopytko)

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