PAIN OF SALVATION: Scarsick

Als Ganzes kann "Scarsick" leider nicht überzeugen. Wenn die ironische Verwendung bestimmter musikalischer Elemente dazu führt, dass man sich die entsprechenden Songs nur widerwillig anhört, ist die Band wohl übers Ziel hinausgeschossen. Schade, denn inhaltlich hat Gildenlöw eine Menge zu sagen. Umso schmerzlicher, dass es sich bei "Scarsick" tatsächlich um "The Perfect Element II" handelt.

BE hat die Fangemeinde von PAIN OF SALVATION vor zweieinhalb Jahren geteilt in diejenigen, die darin ein nicht mehr zu übertreffendes Meisterwerk sahen und diejenigen, die Daniel Gildenlöw für größenwahnsinnig hielten, das Album wiederum als völlig abgehoben einstuften. Auf Scarsick zeigen sich die Schweden von einer bodenständigeren Seite: Statt das Universum und das Sein zu erklären, übt Gildenlöw Sozialkritik. Das versteht man, da braucht man der Promo-CD auch kein Literaturverzeichnis beizulegen. Auch musikalisch ist Scarsick der absolute Gegensatz von BE – statt Filmmusik gibt es nun wieder richtige Songs zu hören, die tatsächlich auch für sich stehen können. Dennoch ist das Album nicht einfach ein Schritt zurück, denn musikalisch hält es einige Überraschungen bereit, die man als Prog-Metaller erst einmal verkraften muss.

Scarsick ist ein Album, das man wohl nur würdigen kann, wenn sich wirklich mit den Texten auseinandersetzt. Lässt man diese außen vor und beschränkt sich auf die Musik, so wird man vieles finden, was einen stört: Warum ist Daniel Gildenlöw zum Rapper mutiert (Spitfall)? Warum meint er, nun Popmusik machen zu müssen (America)? Und was haben diese billigen 70er-Disco-Klänge und der BEE GEES-Kopfstimmengesang auf einem PAIN OF SALVATION-Album zu suchen (Disco Queen)? All dies, zusammen mit der Tendenz zu newmetallischen Klängen, die auf diesem Album auszumachen ist, muss beim gemeinen Prog-Fan zwangsläufig zu Entsetzen führen – und vielleicht auch zu der Frage: Was hat Gildenlöw sich verdammt nochmal dabei gedacht? Genau genommen ist Scarsick nämlich genauso wie sein Vorgänger kommerzieller Selbstmord. Die Prog-Fans werden verschreckt, gleichzeitig ist die Musik weiterhin viel zu verstörend, um durch die erwähnten Elemente neue Zuhörer zu gewinnen.

Tatsächlich hat sich Daniel Gildenlöw mal wieder sehr viel dabei gedacht: In Spitfall rechnet er mit den Gangsta-Rappern ab, in America, dessen Refrain irgendwo zwischen dem entsprechenden Stück aus der West Side Story und KIM WILDEs Kids Of America liegt und das zudem eine kurze Werbepause enthält, natürlich mit den USA, während er in Disco Queen die aufgetakelten Barbiepuppen ins Visier nimmt, die sich in der Disco zur Stärkung des eigenen Egos abschleppen lassen.

Scarsick trieft also musikalisch wie textlich vor Ironie und Sarkasmus. War aber diese enge Verquickung von Musik und Text wirklich nötig? Musikalisch ist ein Song wie Disco Queen einfach unerträglich, und je nach Toleranzgrenze gilt das gleiche für das poppige America oder die Rapeinlagen von Gildenlöw. Dass es auch möglich ist, Gesellschaftskritik zu üben ohne dabei die Musik an das kritisierte Phänomen anzupassen, zeigen die Schweden selbst, wenn auch auf diesem Album zu selten. Cribcaged etwa ist so ein Stück, eine unter die Haut gehende PAIN OF SALVATION-Ballade auf Augenhöhe mit Undertow, eine intelligente, facettenreiche Kritik an der heutigen Gesellschaft, vor allem Streben nach Reichtum, an der Oberflächlichkeit, dem Promi-Wahn und den VIPs selbst.

Leider bleiben Ausnahme-Songs wie Cribcaged eben das: Ausnahmen. Auf Side B zeigt man sich nämlich von einer sehr sperrigen Seite. Zwar wird hier, im Gegensatz zu Side A, auf wenig erfreuliche Experimente verzichtet, doch fehlt es hier einfach an großartigen Melodien, so dass der Zugang zur Musik auch nach unzähligen Durchgängen schwer fällt. Natürlich hat diese zweite Hälfte ihre magischen Momente, von Anfang bis Ende mitreißen kann aber nur das ruhige Kingdom Of Loss.

Als Ganzes kann Scarsick leider nicht überzeugen. Wenn die ironische Verwendung bestimmter musikalischer Elemente dazu führt, dass man sich die entsprechenden Songs nur widerwillig anhört, ist die Band wohl übers Ziel hinausgeschossen. Schade, denn inhaltlich hat Gildenlöw eine Menge zu sagen. Umso schmerzlicher, dass es sich bei Scarsick tatsächlich um The Perfect Element II handelt.

Veröffentlichungstermin: 19.01.2007

Spielzeit: 67:48 Min.

Line-Up:
Daniel Gildenlöw – Leadgesang, Gitarre, Bass
Johan Hallgren – Gitarre, Gesang
Fredrik Hermansson – Keyboards, Gesang
Johan Langell – Schlagzeug, Gesang

Produziert von Daniel Gildenlöw
Label: InsideOut Music

Homepage: http://www.painofsalvation.com

Tracklist:
Side A:
1.Scarsick
2. Spitfall
3. Cribcaged
4. America
5. Disco Queen

Side B:
6. Kingdom Of Loss
7. Mrs Modern Mother Mary
8. Idiocracy
9. Flame To The Moth
10. Enter Rain

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