D´ESPAIRS RAY, LIMBOGOTT: Köln, Gloria, 21.11.2006

Vampster in Wonderland. Wenn Musik mal nicht so wichtig ist…

Vampster im Wunderland

Wieso muss ich eigentlich immer zu so etwas gehen, bei dem im Nachhinein dann keine seriöse Berichterstattung möglich ist? Aber der Reihe nach….
Mit der Öffnung der Pforten des Gloria um 19:30 Uhr begann er, der Strom junger Gruftie-Mädchen, wahlweise in schwarze Rüschen, phantasievolle Manga- oder komplette Emily The Strange-Outfits gehüllt und er schien nicht mehr enden zu wollen. Langsam wurde mir auch klar, warum die Veranstaltung so eindeutig als ab 16 gekennzeichnet ist.
Immerhin konnten die von mir sehr geschätzten LIMBOGOTT pünktlich um 20:00 Uhr vor einem prall gefüllten Gloria (subjektive Schätzung: 400 Gruftie-Mädels; 50 Man weiß es nicht genau; 50 Kerle) mit ihrer Show beginnen. Und die erfüllte all meine hohen Erwartungen. Präzise, tight, mit sehr gutem Sound und natürlich sehr guten Songs. Die beiden Sänger im Mad-Max-artigem Outfit und Schminke waren immer in Bewegung und überzeugten ebenso wie die Instrumental-Fraktion. Die Gitarren bretterten, die Drums groovten auf den Punkt und selbst die komplexeren Songs gingen in die Beine und den Nacken. Der Detailreichtum der Songs mag live etwas untergehen, dafür ist der Energielevel noch um einiges höher als auf Platte. So lebendig kann elektronische Musik sein. Und dazu haben die Jungs noch echt Spaß inne Backen und sprühen vor Spielfreude. LIMBOGOTT sind einfach eine sehr gute und dazu noch sympathische Band, die sehr viel Enthusiasmus und Qualität hat und beides auch transportieren kann. Sie schafften es sogar, dem eindeutig nicht wegen ihnen gekommenen Publikum erste Kreischer und Kiekser zu entlocken, doch dazu später mehr.
Leider war nach einer viel zu kurzen halben Stunde der Spaß schon vorbei und die Umbaupause begann, die das Publikum dazu nutzte, ihre eigentlichen Helden bereits mit D´ESPAIRS RAY-Sprechchören zu fordern.
Als die fleischgewordenen Manga-Figuren in ihrem androgynen Styling dann endlich die Bühne enterten, brachen alle Dämme. Was folgte war ein Phänomen. Ein Rätsel. Für mich war es das krasseste Missverhältnis von musikalischer Leistung und Publikumsreaktion, das ich je erleben durfte. Schon auf Platte ist der solide Gothic-Rock mit starkem MARYLIN MANSON-Einschlag keine Sensation, aber live hatte ich mir deutlich mehr versprochen. Mit im Gegensatz zu LIMBOGOTT dünnem Sound, kaum hörbarem Bass und mehr Sorgfalt auf Gepose als auf sauberes Spielen legten die Japaner also los. Und wurden gefeiert wie die Götter. Schon das Betreten der Bühne wurde zur heiligen Messe: Der Drummer kommt – Kreiiisch! – Der Bassist – Kreiiiisch! – Der Gitarrist – Kreiiiiiisch! – und der Sänger – Kreiiiiiiisch! Gemessen an den frenetischen Reaktionen des Publikums musste auf der Bühne gerade die musikalische Sensation des Jahrzehnts stattfinden (oder auch ein Cameo-Auftrittt von TOKIO HOTEL), aber leider war es nur schlichter Gothic-Rock von durchschnittlicher Qualität. Das hielt aber das überwiegend weibliche Publikum nicht davon ab, jede Geste der Musiker in Richtung Publikum mit hysterischen Kreisch-Orgien zu honorieren, so dass ich dieses Mal nicht wegen des schlechten Sounds froh war Ohrenstöpsel dabei zu haben. Die Musik schien ohnehin nicht ganz so wichtig und das Publikum feierte sich selbst und ihre Helden und vor allem die Tatsache, dass man zusammen ganz toll aussah. Viele im Publikum waren entsprechend aufgebrezelt und dermaßen enthusiastisch, dass die Veranstaltung eine eher surrealistischen Touch bekam und ihren Konzertcharakter etwas verlor. So litt sich Sänger Hizumi mal mehr, mal weniger die Tonlage beachtend durch Hits wie In Vain oder PIG, Gitarrist Karyu setzte sich mal einen Zylinder auf, bangte wie ein Wilder und sah spektakulärer aus als sein Spiel es war, Drummer Tsukasa spielte grob geschätzt drei verschiedene Rhythmen und Bassist Zero poste munter, war aber weiterhin kaum zu hören. Trotzdem waren im weiten Rund nur glückliche, begeisterte Gesichter zu sehen und ich ziehe meine Truckerkappe vor dieser Leistung. D´ESPAIRS RAY sind mehr ein Phänomen als eine Rockband und daher auch mit den üblichen Maßstäben nicht zu greifen. Sie verbreiten eine Atmosphäre, die die Fans mitreisst, sind Identifikations-Figur für adoleszenten Weltschmerz, Idol und Schmink-Anleitung in einem. Als sich die Musiker zwischen regulärem Set und Zugabenteil ausgiebig von den Fans verabschiedeten, wurde jedes Tröpfchen Wasser, das sie aus ihren Wasserflaschen in die Menge spritzten, gefeiert, als wäre es ein Song. Und als sie anfingen, es in die Menge zu spucken, wurde der Lärm infernalisch. Es lagen so viele Glückshormone in der Luft, dass man schon geneigt war, über die musikalischen Belanglosigkeiten, die von der Bühne kamen, hinweg zu sehen und sich einfach auch des Lebens bzw. des Sterbens zu freuen. D´ESPAIRS RAY sind eben mehr als Musik. Sie sind dunkle Helden und haben keine Fans, sondern eine durch das Schicksal aneinander gekettete Gefolgschaft. Wer nicht Teil davon ist, wird es nicht verstehen. Ich bin nicht Teil davon und werde es auch nicht mehr, also verzeiht mir bitte.
Somit soll diese Kritik auch nicht als Verriss verstanden werden, denn die Japaner haben ihre Mission erfüllt. Sie haben ihre Fans glücklich gemacht, einfach durch die Tatsache, dass sie da waren und gut aussahen. Wem das schon reichte, der hatte einen wunderbaren Abend.

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