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CRADLE OF FILTH: Midian

Das Beste, was die Skandalband aus Britannia jemals gemacht hat.

…Auf diese Scheibe habe ich nun gute zwei Jahre gewartet; die für CRADLE OF FILTH-Verhältnisse katastrophale EP „From the Cradle to Enslave“ hat mich nicht gerade in Ruhe auf das Album warten lassen, das dann irgendwann kommen sollte. Nun ist das langerwartete Album da, und es fällt mir nach 20 Durchgängen nur ein Wort ein, das diese Platte auch nur im Ansatz beschreiben könnte: GRANDIOS!

Nach einem CRADLE OF FILTH-typischen klassischen Intro („At the Gates of Midian“) geht es los mit

„Cathulhu Dawn“

Der erste Song von „Midian“ erinnert etwas an „Lustmord and Wargasm“, das letzte Stück von „Cruelty and the Beast“; er ist ziemlich schnell und schreit dem Hörer förmlich ein „Wir sind wieder da!“ entgegen. Und wie sie wieder da sind – schon dieser Song alleine entschädigt für das lange Warten mit dem schlechten Gefühl im Bauch, das sich nach dem schwächlichen „From the Cradle to Enslave“ eingestellt hatte. Mit einem klassisch anmutenden Schluss mit Ritandando geht der Song zu Ende.

„Saffron’s Curse“

Nach einem typischen Glöckchen-und-Synthesizer-Chöre-Intro geht das Stück in die Vollen: Hart, oberes Midtempo; wieder dieses „Wir sind wieder da“-Gefühl. Auffallend ist, dass Sängerin Sarah Jezebel Deva wesentlich öfter singt und lauter ist als auf den vorhergehenden Alben.

Nach knappen drei Minuten geht der Song in einen langsamen Teil über; wieder Chöre und Cembalo; Dani und Sarah flüstern. Gänsehaut. Dann der Hammer: Ein symphonischer Teil im Stile von „Malice through the looking glass“ – mir kommen die Tränen – das gehört zum Besten, was CRADLE OF FILTH jemals gemacht haben.

“Death Magick for Adepts”

Nachdem die “Saffron’s”-Gitarren verklungen sind, gibt es wieder die Schlachtplatte. Dieses Stück hätte auch gut auf „V Empire Or Dark Faerytales in Phallustein“ oder „Dusk… and Her Embrace“ stehen können. Man hört die songschreiberische Hand Paul Allenders, der sowohl auf der ersten Scheibe „The Principle of Evil Made Flesh“ als auch auf den obengenannten folgenden Platten noch seine Hand im Spiel. A propos Songwriting: Als ich „Midian“ zum ersten Mal Fierce vorgespielt habe, rief er alle drei Minuten „True Metal!“ – der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt, klingen CRADLE OF FILTH auf „Midian“ doch (wieder!) sehr symphonisch – es war auch höchste Zeit.

Zurück zu „Death Magick for Adepts“: Der Höhepunkt des Songs ist der Schluss, eine Orgie zweistimmiger Gitarrenlinien, die über die Jahre so typisch für die Band aus Suffolk geworden ist – meisterhaft!

„Lord Abortion“

Für mich sowohl textlich als auch musikalisch der extremste Song. Dani stellt sich in diesem in Studiozeiten „Serial Killer“ benannten Song vor, ein solcher zu sein – der Text ist somit auch für CRADLE OF FILTH-Verhältnisse ziemlich krank.

Etwa in der Mitte des Songs fällt die wohl offensichtlichste Neuerung von „Midian“ auf: Chöre. Früher hat man außer Dani vielleicht ab und zu mal Sarah gehört, damit hatte es sich aber. Anno 2000 nehmen mehrstimmige Chöre (teilweise im Stil von THERION, teilweise aber auch gar nicht) einen wichtigen Part in den Strukturen der Stücke ein. Dabei handelt es sich aber nicht um Nachahmung, sondern das Ganze ist absolut dicht und passt zu 110% ins Konzept – die gesungenen Passagen verleihen dem Ganzen eine gewisse Tiefe, von der ich nicht weiß, wie ich bisher ohne sie leben konnte…

Nach dem gesungenen Part gibt es dann ein kleines Intermezzo mit Streichern; wunderbar. „Lord Abortion“ ist durch und durch Metal, wobei es mir schwer fallen würde, diesen Song einer bestimmten Stilrichtung zuzuordnen.

„Amor e Morte“

Wenn ich mir aus den elf Songs der Platte meine Top-3 raussuchen müsste, wäre dieses Stück sicherlich dabei, steht er doch so sehr für das, was ich bei „Dusk… And Her Embrace“ an dieser Band lieben gelernt habe: Großartige Durchmischung der verschiedensten Stilrichtungen, sehr intensiv, tolle Drum- und Gitarrenparts. „Amor e Morte“ ist symphonisch und einfach nur schön. Schon wieder kommen mir die Tränen. Ich finde gar keine Superlative mehr, um das zu beschreiben…

„Creatures that kissed in cold mirrors“

Nach “Amor e Morte” gibt es die erste Verschnaufpause des Albums in Form eines klassisch angehauchten Instrumentals. Sehr düster und wesentlich besser gemacht als die entsprechenden Instrumentals auf den vorhergehenden Platten.

„Her Ghost in the Fog“

Vom lyrischen Thema wie von der Musik her ist dieser Song das “A Gothic Romance” von “Midian”. Wieder hyper-symphonisch, wieder diese zweistimmigen Gitarrenlinien. Hier gibt es sogar sowas wie einen Refrain: ein wunderbarer Teil, der vor allem durch Sarahs und Danis Stimmen bestimmt wird; wobei alleine Danis „Her Ghost in the fooooooooog“ den Kauf der Platte rechtfertigt.

Habe ich schon gesagt, dass der Drummer sehr gut ist? Adrian ist spitze, ich vermisse eigentlich nur noch die Kulthaftigkeit eines Mister Nicholas Barker. „Her Ghost in the Fog“ ist durch und durch ein typischer Song von CRADLE OF FILTH – wenn man die Band mag, wird man diesen Song lieben…

„Satanic Mantra“

Noch ein Instrumental, oder besser ein A-Capella-Stück. Hier sprechen mehrere Stimmen rhythmisch durcheinander. Erinnert irgendwie an einen Zauberspruch oder eine Kulthandlung.

„Tearing the veil from grace“

Ein ruhiger, im Stil von “Bathory Aria” gehaltener Anfang, wunderschön, der sich dann in einem harschen Black Metal-Riffgewitter verirrt.

Nach fast fünf Minuten Black-Metal-Orgie kommt der Anfang nochmals zurück, jedoch in einem anderen Kontext, sodass man ihn fast nicht mehr erkennt. Dann geht das Ganze plötzlich wieder in Richtung Gothic, mit Streichern und Klavier und Dani und Chor – göttlich! Am Schluss dieses Intermezzos wieder ein Teil mit einer zweistimmigen Gitarrenlinie im Stil von „Malice through the looking glass“ (ist übrigens mein Lieblingssong – muss ich aber angesichts dieser Platte nochmal überdenken…).

„Tortured Soul Asylum“

Ein recht extremer Song. Eindeutig Black Metal, irgendwie aber auch nicht. Der Song ist bis zum Schluss melodieloser als die anderen. Vielleicht ist es genau das, was den „Schluss“ (die letzten zwei Minuten des Sieben-Minuten-Songs) so heraushebt.

Ab Minute fünf durchläuft der Song eine dramatische Gefühlskurve, wird symphonischer und symphonischer. Killer-Riff folgt auf Killer-Riff. Das Ganze gipfelt in den letzten zwei Teilen, die Geschichte schreiben werden. Ich möchte hier die entsprechenden Textzeilen zitieren:

„Exhuming the moon
Through the bars in my room
The sooner the bitter pills swallowed are through
But no genotypes, aphrodites,
Daemonarchetypes
No Coenobites rise to claim me for you
No! No! No!
Don’t leave me hear in this storm-weathered cell
No! No! No!
With prophets and losses
And dead men from crosses
My fate is a preview of derelict hell”

Diese Zeilen schreit Dani in einer Art, dass vor meinem inneren Auge Bilder entstehen – alles klingt so absolut glaubwürdig, dass eine Gänsehaut die andere jagt. Und das Ganze über das beste Stück Musik, das CRADLE OF FILTH jemals geschrieben haben. Das Ganze hat eine Dramatik, beinhaltet eine Spannung, die unbeschreiblich ist.

Nachdem die letzten Töne von „Tortured Soul Asylum“ und somit die letzten Töne von „Midian“ verklungen sind, zieht es den Klickfinger eindeutig zum Play-Knopf, um sich diese Scheibe gleich noch einmal zu geben.

“Midian” ist ein unglaubliches Werk

Im Gegensatz zur letzten EP ist „Midian“ übrigens hervorragend produziert. Das Ganze ist ungemein dichter und doch durchsichtiger als alles, was vorher war. Und für alle Schlagzeugfetischisten: Ja, man hört die Bassdrums.

Ein unglaubliches Werk; Dramatisch, Intensiv, Extrem, Blutdurstig, Symphonisch. „Midian“ dürfte eigentlich nicht zusammen mit den anderen Metal-Platten im Regal stehen – die Scheibe ist schlichtweg zu brillant. Nichts – NICHTS – was ich dieses Jahr an Musik gehört habe erreicht dieses Level, wobei CRADLE OF FILTH sowohl technisch, musikalisch als auch vom gefühlsprovozierenden Aspekt her neue Maßstäbe setzen.

Das Beste, was die Skandalband aus Britannia jemals gemacht hat.

Veröffentlichungstermin: 31.10.2000

Spielzeit: 58:56 Min.

Line-Up:

Dani Filth – Vocals
Robin Graves – Bass
Gian Pyres – Guitar
Paul Allender – Guitar
Adrian Erlandsson – Drums
Martin Powell – Keyboards

Produziert von John Fryer
Label: Music for Nations

Hompage: http://www.cradle-of-filth.co.uk

CRADLE OF FILTH “Midian” Tracklist

1. At the Gates of Midian
2. Cthulhu Dawn
3. Saffron’s Curse
4. Death Magick for Adepts
5. Lord Abortion
6. Amor e Morte
7. Creatures that kissed in cold Mirrors
8. Her Ghost in the Fog
9. Satanic Mantra
10. Tearing the Veil from Grace
11. Tortured Soul Asylum

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