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SONATA ARCTICA: Spieglein, Spieglein an der Wand

Das Gespräch mit Frontmann Tony Kakko beinhaltet Rückblick, Vorschau und einen aktuellen Blick in den Spiegel.

Spätestens mit ihrem vierten Album Reckoning Night haben sich SONATA ARCTICA als führende Kraft des Melodic Speed Metal-Genres etabliert. Mittlerweile hat das finnische Quintett im Rahmen der dazugehörigen Tour über 150 Konzerte gespielt. Eins davon gibt es auf der aktuellen DVD For The Sake Of Revenge zu sehen sowie auf dem gleichnamigen Live-Album zu hören. Das Gespräch mit Frontmann Tony Kakko beinhaltet dementsprechend nicht nur Rückblick und Vorschau, sondern auch einen aktuellen Blick in den Spiegel.

Macht es einen Unterschied, wenn man auf der Bühne steht und ein Dutzend Filmkameras auf einen gerichtet sind?

Nein, eigentlich nicht. Bei normalen Konzerten und besonders bei Festivals haben die Leute auch Kameras dabei, machen Bilder, und wir haben auch schon früher Videos für private Zwecke mitgeschnitten. Man gewöhnt sich daran. Bei dem Auftritt, den wir jetzt mitgefilmt haben, habe ich auf der Bühne überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Das dürfte auch gut so gewesen sein. Man wird nervös, wenn man sich zu viele Gedanken darüber macht, wie man später auf den Aufnahmen aussehen wird.

Du hast also nicht vorm Spiegel geübt?

Nein, das habe ich nie gemacht. Erst vor wenigen Monaten habe ich damit angefangen. Zu Hause habe ich einen neuen Arbeits- und Proberaum, in dem sich auch ein Spiegel befindet. Irgendwann fiel mir auf, dass ich ständig davor herumjamme. Es macht Spaß! Ich schreibe gerade neues Material. Es ist cool, wenn man ausprobiert, wie es beim Jammen aussieht und so feststellen kann: Ja, das ist ein cooler Song!

Wie ist es, sich selbst auf Video zu sehen?

Ich genieße es nicht so sehr. Aber es gehört zu den Sachen, an die man sich gewöhnt. Wenn man die eigenen Stimmen zum ersten Mal aufnimmt, klingt es seltsam. Doch nachdem man sich daran gewöhnt hat, macht man sich keine Gedanken mehr darüber. Ich finde immer noch, dass meine Stimme beim Reden seltsam klingt, während beim Singen alles okay ist. Bei Bildern ist es genauso. Ich weiß nicht, wie viel tausend Bilder ich von mir bislang gesehen habe. Ich habe eine Vorstellung davon, wie ich aussehe. Folglich gibt es keine Überraschungen.

Mein Gesamteindruck von der DVD ist, dass alles sehr authentisch und lebendig wirkt, keine Spur von Überproduktion oder Schönheitskorrekturen.

Die Idee war, eine DVD zu machen, die SONATA ARCTICA Anfang Februar 2005 zeigt. Zusammen mit den Extras, wo wir herumalbern, zeigt sie, was um diesen einen Tag herum passierte. Es ist hauptsächlich Trinkerei (lacht), aber es soll ein Bild von der Band festhalten, auch um uns selbst später daran zu erinnern, wie es damals war. Wenn man anfängt, die Geschichte überzuproduzieren und Sachen einfügt, die gar nicht da waren, belügt man sich selber. Die Leute würden es zwar kaufen, aber wenn man anfängt, seine eigenen Lügen zu glauben, ist man verloren.

Ihr habt also kein großes Verlangen gehabt, Overdubs zu machen?

Ich persönlich sehen keinen Grund dafür. Ich weiß nicht, wie es den anderen Jungs geht. Es gibt hier und da Spielfehler. Als ich ein kleiner Junge war, schaute ich mir gerne Auftritte meiner Lieblingsbands an. Wenn es dort einen Spielfehler gab, war das nichts Schlimmes. Es war cool. Man hört, dass ich bisweilen mit den Texten durcheinanderkomme. An einer Stelle singe ich nur blablablabla, weil ich einen kurzen Blackout hatte. Man hätte das auf der Audiospur reparieren können, aber warum? Das sind Sachen, die live so passiert sind. Live ist nicht perfekt. Wenn man es perfekt hören will, kauft man die Studioalben, auf denen die Band zeigen kann, was sie in einer optimalen Umgebung leisten kann. Hier hört man, wie die Band herumrennt und vom Publikum inspiriert wird. Wenn man längere Zeit in die Augen einer schönen Frau schaut, kann es passieren, dass man einen Strudel im Kopf bekommt und Leichtsinnsfehler macht. So kann es gehen. Das ist live.

Gibt es irgendwelche Konzertfilme von anderen Bands, die als Vorbild für For The Sake Of Revenge dienten?

Nein. Ich habe in letzter Zeit auch nicht sonderlich viele gesehen. Die Aufnahmen, die vorhin angesprochen wurden, waren VHS-Videos, die viele Jahre auf dem Buckel haben. Ich persönlich wäre froh, wenn wir ein ähnliches Feeling einfangen könnten wie NIGHTWISH auf ihrer From Wishes To Eternity-DVD. Dieser Auftritt wurde sehr schön gefilmt. Ich habe sie zwar schon seit einer geraumen Zeit nicht mehr gesehen, aber ich war wirklich von der Optik beeindruckt, als ich sie zum ersten Mal sah. Wir sind jedoch eine andere Band und es bringt einen nur bedingt weiter, wenn man andere Bands nachahmt. Man kann natürlich von ihnen lernen und Sachen abschauen.

Aber du kleidest dich anders als ihre [ehemalige] Sängerin.

Ja, ich habe kleinere Brüste als Tarja!

SONATA
Tony Kakko live auf dem RockHard-Festival. Mein Bühnenich ist das furchtbare, allmächtige Ego. Zu Hause bin ich dagegen sehr zurückhaltend.

Unterscheidet sich Tony auf der Bühne irgendwie von Tony zu Hause?

Ja, total. Du solltest die Frage meiner Ehefrau stellen. Nein, natürlich, mein Bühnenich ist das furchtbare, allmächtige Ego, etwas ganz Besonderes. Zu Hause bin ich dagegen sehr zurückhaltend. Ich gehe nicht so häufig aus. Meine Freunde meinen, ich hätte mich kaum verändert, ich hätte lediglich mehr Selbstvertrauen als früher.

Auch wenn du derartige Fragen ständig beantworten musst: Warum habt ihr für die DVD nicht Wolf And Raven und das gesamte White Pearl, Black Oceans… gespielt? Schließlich gehören beide zu euren besten Songs.

Ein paar Lieder haben wir weggelassen, weil sie bereits auf unserer ersten Live-CD waren. Da macht es keinen Sinn, alle Stücke ein weiteres Mal aufzunehmen. Von den neueren Sachen haben wir White Pearl, Black Oceans… noch nie live gespielt. Es ist ein schwieriger Song, ziemlich groß. Mit einer kleinen Band kann man das nicht ohne die Hilfe von Hintergrundbändern umsetzen. Vielleicht spielen wir in der Zukunft mal eine abgespeckte Version. Wolf And Raven habe ich den Jungs vorgeschlagen, aber sie waren nicht in der Stimmung, es zu spielen. Es ist immer eine seltsame Art von Demokratie, in der ich gewissermaßen Diktator bin. Ich bemühe mich jedoch auf die anderen zu hören und jeder hat ein Veto-Recht. Wenn also jemand ernsthaft Probleme mit einem Lied hat, lassen wir es weg. Wir haben genug starkes Material in der Hinterhand.

Worin liegt der Reiz, Medleys zu spielen?

Man kann dabei spielbare Teile von komplizierten Songs wie eben White Pearl, Black Oceans… einstreuen. Wir haben vier Studioalben mit mehr als 40 Liedern. Man kann keine 50 Lieder spielen. So kamen wir auf die Idee, die Spieldauer von zwei regulären Songs zu nehmen und die unterschiedlichsten Nummern anzuspielen, die wir ansonsten nicht im Programm haben, damit die Leute das Gefühl bekommen, etwas Besonderes geboten zu bekommen. Für uns selbst ist es sehr erfrischend, einer meiner Lieblingsmomente des Auftritts.

Passiert es dabei manchmal, dass jemand ein Lied weiterspielt, während die restliche Band schon zum nächsten wechselt?

Nein, wir proben das vorher.

Gehörst du zu den Leuten, die ihre Lieder als ihre Kinder betrachten und sich weigern, einzelne als besser oder schlechter zu bewerten?

Nein. Ich glaube, all diese Leute lügen oder sind einfach faul, ihre Lieblingslieder zu benennen. Im Laufe der Jahre habe ich meine persönliche Lieblinge gefunden.
Auf den früheren Alben gibt es immer zwei, drei Songs, die sich mehr wie eigene Songs anfühlen, zu denen man eine engere Beziehung aufgebaut hat. Die Songs, die mir besonders am Herzen liegen, befinden sich eher auf den neueren Alben. Das aktuelle Material ist natürlich auch noch frischer. Momentan habe ich allerdings alle bisher veröffentlichten Songs satt. Ich habe bereits neun Stücke für das neue Album fertig. Die mag ich viel lieber als die alten Sachen! Wir gehen im November ins Studio und das Album sollte nächstes Jahr erscheinen.

Welches ist deiner Meinung nach das unterbewertetste SONATA ARCTICA-Lied?

Verdammt, ich weiß nicht.

Ich würde fast FullMoon nehmen, obwohl ihr es natürlich häufig live spielt und auf beiden Live-Albem am Start habt.

Es ist sicherlich ein Publikumsliebling, nicht zuletzt wegen dem Run away! Run away!-Mitsingteil. Zur eigentlichen Frage: Dream Thieves [von der Broken-Single bzw. der Takatalvi-EP – Anm.d.A.] ist einer der Songs, die ich ziemlich mag, ein sehr rockiger Song, dem nicht sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wir haben ihn ein paar Mal live gespielt. Die Leute sind damit nicht sehr vertraut. Wenn wir ihn spielen, erstarren die Leute. Sie hören zu und fragen sich, was zur Hölle das eigentlich ist.

SONATA
Tony über die aktuelle DVD/CD For The Sake Of Revenge: Die Idee war, eine DVD zu machen, die SONATA ARCTICA Anfang Februar 2005 zeigt. Zusammen mit den Extras, wo wir herumalbern, vermittelt sie einen Eindruck von dem, was um diesen einen Tag herum passierte.

Du schreibst deine Lieder im Alleingang. Gibt es jemanden, mit dem du gerne einmal irgendwann irgendwie zusammenarbeiten würdest?

Tuomas von NIGHTWISH. Wir haben vor, irgendwann mal etwas zu machen. Aber unsere Terminpläne sind sehr schlecht unter einen Hut zu bringen. Entweder ist der eine auf Tour und der andere daheim oder wir sind mit dem Songwriting für unsere eigene Band beschäftigt. Vielleicht klappt es eines Tages noch. Das wäre traumhaft.

Bist du manchmal neidisch, wenn du Henkka oder Jani beim Spielen zuschaust?

Ich wäre gerne Keyboarder und war in dieser Band bereits einer! Am liebsten spiele ich Keyboards und singe backing vocals. Das wäre großartig. Ich bin kein großer Fan von Soli. Vielleicht wird es mal ein Nebenprojekt geben, wo ich die Keyboards bediene und lediglich im Hintergrund singe.

Wie sieht dein Traumsetup aus? Ein einzelnes, schlichtes Keyboard? Eine ganze Burg?

Ich würde zwei Keyboards nehmen, eins mit Klavieranschlag und ein normales. Das habe ich auch hier zu Hause.

Du wirst also nicht wie Rick Wakeman enden?

Nein, das macht keinen Sinn. Wer soll das alles tragen!?

Was hältst du von Konzeptalben?

Mein erster Gedanke dabei ist, dass es schwierig ist, sie auszuhecken, also ein Thema ausführlich zu behandeln. Man kann natürlich ein Gefühl ausdehnen und beispielsweise ein Album ausschließlich mit Liebesliedern machen. Das wäre einfacher. Aber wenn man mit einem Album eine Geschichte erzählen will, ist das sehr schwer. Ich habe nicht das Bedürfnis, es zu versuchen. Allerdings gab es in meinem Fall den Plan, ein Album aus Erzählfäden von The End Of This Chapter zu machen. Dazu gibt es momentan zwei Stücke und es werden insgesamt mindestens vier werden, soweit ich den Überblick habe.

Wenn ihr mit Hardrock-Acts wie DORO, ALICE COOPER oder meinetwegen auch NIGHTWISH auftretet, passt ihr dann eure Setlist deren Publikum an oder müssen die Leute sich euch anpassen?

Unsere Alben sind sehr vielseitig. Es gibt reichlich Balladen und Hardrock-Songs sowie natürlich eine metallische Seite. Das ist so ziemlich eine Auflistung aller Musikstile, die ich mag, quasi von Klassik bis Black Metal. Wenn man mit Größen wie NIGHTWISH unterwegs ist, strebt man am besten einen goldenen Mittelweg an, also eine Mischung aus eingängigen Nummern und älteren Speed Metal-Sachen. Im Prinzip spielen wir also eine leicht gekürzte Fassung unserer normalen Show.

Was war beste Rat, den du je von einem anderen Musiker bekommen hast?

Das muss etwas Gesangstechnisches gewesen sein, Aufwärmübungen vor dem Auftritt, entweder von Tarja von NIGHTWISH oder von Timo Kotipelto (STRATOVARIUS).

SONATA
Der größte Alkoholvernichter im Hause SONATA ARCTICA: Jani live in Wacken 2001.

Welches SONATA ARCTICA-Bandmitglied trinkt am meisten?

Jani.

Gebt ihr nicht euren jüngeren Fans ein schlechtes Beispiel, wenn ihr am Ende von jedem Konzert dem Wodka huldigt?

Ja, schon, aber die Leute sollten das nicht so ernst nehmen. Jeder weiß, dass wir aus Finnland kommen und Finnen schätzen Wodka wirklich sehr. Das ist ein Teil der Show. Falls jemand seinen Wodkakonsum wegen SONATA ARCTICA hochfährt, sollte das nicht zur Gewohnheit werden. Sonst wird man später im Leben ein großes Problem damit haben. Und wenn man noch zu jung ist, sollte man natürlich keinen harten Sachen beziehungsweise überhaupt keinen Alkohol trinken. Ich bin kein großer Trinker. Nach dem Auftritt gönne ich mir zwei, drei Bier zur Entspannung. Andere Leute wie Jani und Henkka dagegen…

…kann man auf den Extras der DVD beim Trinken sehen…

…die ganze Zeit! Mich sieht man da so gut wie nie. Das meiste Material wurde bei einer Kneipentour geschossen. So ist das: Wenn die anderen in eine Bar gehen, gehe ich ins Bett! Ich bin der Sänger und muss mehr auf meinen Körper achten als die anderen. Bei denen reicht es, wenn sie am nächsten Morgen die Finger bewegen können und ihren Kopf freibekommen. Wenn ich dagegen körperlich angeschlagen bin, den ganzen Abend schreie und mich dann betrinke, beeinträchtigt der Kater am nächsten Tag deutlich meinen Gesang. Das ist das letzte, was ich will.

Welche Orte oder Sehenswürdigkeiten würdest du Touristen oder tourenden Bands, die Finnland besuchen, empfehlen?

Wenn man Finnland besucht, kommt man natürlich zuerst in die Gegend von Helsinki, der Hauptstadt, die einige schöne Sachen zu bieten hat. Aber das ist nicht das Finnland, das die Finnen kennen, da es die größte Stadt ist. Die ganze Natur, die Finnland eigentlich definiert, findet man außerhalb von Helsinki. Man muss mindestens ein paar hundert Kilometer weit fahren. Lappland muss man gesehen haben. Wenn man nach Kittilä fliegt, das noch weiter im Norden liegt, also der Ort, wo ich wohne, dann sieht man, was Finnland ist. Natur, nicht zu viele Leute…

Welche Reisejahreszeit kannst du empfehlen?

Wenn man gerne Ski fährt, sollte man im März oder April kommen. Dann ist Skifahren in Lappland wirklich toll und auch nicht zu kalt. Der finnische Sommer ist ebenfalls schön. Dann gibt es nicht mehr so viel Schnee. Nein, wir haben hier einen richtigen Sommer. Er dauert nur nicht besonders lang. Wenn man gerne wandert und die Natur genießt, sollte man im August oder September herkommen und sehen, wie das ganze Laub sich rot und gelb färbt. Die Farben sind wunderschön.

Wacken-Fotos: boxhamster / RockHard-Festival-Foto: Der Pohl

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