CHOOSING DEATH: The Improbable History Of Death Metal & Grindcore (von Albert Mudrian) [Buch]

CHOOSING DEATH ist kein x-beliebiges Buch, das alle bekannten Dinge zusammenfasst. Es ist kein Buch, das Pseudo- oder Allgemeinwissen verbreitet. Es geht in die Tiefe, wühlt teilweise in nie gehörten Geschichten. CHOOSING DEATH erzählt nicht lehrbuchartig was einmal war, sondern plaudert ganz zwanglos darüber – mit Menschen, ohne die es die intensivste Musik auf Erden niemals gegeben hätte.

Man muss zuerst warm werden mit dem ersten Werk Albert Mudrians. Das schwarze Buch mit dem theatralischen Titel CHOOSING DEATH: The Improbable History Of Death Metal & Grindcore macht es einem anfangs nicht einfach. Hinter dem glänzenden Cover verbergen sich nämlich ungefähr 280 Seiten, die auf den ersten Blick wie billige Schwarz-weiß-Kopien wirken. Kein einziges buntes Bild findet man vor und die Fotos sind teilweise wüste Schere-und-Uhu-Kollagen. Einen Augenblick später hat man das schon verziehen. Immerhin will uns Albert Mudrian in eine Zeit entführen, wo Underground noch wirklich Underground war, wo das Herz noch am rechten Fleck und sowieso alles besser war.

Nach einer weit ausholenden Einleitung von niemand anderem als John Peel und einem Vorwort von Nick Terry (vom Terrorizer-Magazin) nimmt der Autor den Leser an die Hand und wirft ihn ohne Umschweife ins Geschehen – mitten in die Industrielandschaft von Englands Metropole Birmingham. Punk Is A Rotting Corpse nennt sich das Kapitel, das nicht als einziges einen zuerst nicht erkennbar logischen Namen aufweisen kann. Albert Mudrian zeichnet zuerst ein Bild der Stadt und der Punk-Szene der 70er und widmet sich dann ausführlicher der Entstehungsgeschichte von NAPALM DEATH. Man kann unmöglich zusammenfassen, was CHOOSING DEATH alles enthält, ja nicht einmal den groben Umfang angemessen festlegen. Auch was den Schreibstil angeht macht es uns Mudrian nämlich nicht leicht. Erst, wenn man sich damit angefreundet hat, dass der Großteil des Buches mit Hilfe von Textfetzen aus persönlichen Interviews der wichtigsten Beteiligten Personen geschaffen wurde, kann man beginnen die Inhalte von CHOOSING DEATH zu spüren. Erst dann fühlt man sich hereinversetzt in die Anfänge extremer Musik und nie erlebte Erinnerungen werden wach.

Doch wieder ist man irritiert. Zu schnell enden die Absätze, fließend geht Mudrian zur nächsten Band über, zitiert andere Leute, man möchte einwerfen, dass noch nicht alles gesagt sein kann. Doch abermals muss man erst verstehen, um genießen zu können: CHOOSING DEATH ist zeitlich unterteilt. Mudrian versucht sich daran, die Geschehnisse möglichst parallel zu erzählen. So kommt es, dass er zuerst die brodelnde britische Szene unter die Lupe nimmt, dann nach Amerika fliegt, um dort den Beginn des Death Metals, die ersten Gehversuche von Bands wie MANTAS, POSSESSED, DEATH, MORBID ANGEL, TERRORIZER, OBITUARY zu beobachten. Dort darf der Leser allerdings auch nur ein Kapitel verweilen, dann geht es ein weiteres Mal übers Meer: Nach Schweden, wo unter anderem NIHILIST, ENTOMBED, UNLEASHED, CARNAGE und GRAVE entstanden – beziehungsweise vergangen – sind. Und wie der Fernsehkoch dann erneut nach dem zuerst auf den Herd gestellten Gericht guckt, darf der Leser dann wieder zu NAPALM DEATH zurückkehren, erleben, wie sich Erfolge einstellen, Besetzungswechsel die Band erschüttern und wie CARCASS gegründet wird. In Übersee haben die Pioniere bereits die Ernte eingefahren, AMON (später DEICIDE) und CANNIBAL CORPSE bilden vor allem textlich neue Extreme im Death Metal-Sektor.

So schraubt sich CHOOSING DEATH immer tiefer in die Geschichte hinein. Dreh- und Angelpunkt bildet besonders anfangs immer wieder der Einfluss des Labels Earache und dessen Bands auf die Szene.

Eine Inhaltsangabe ist in einem Review weder möglich noch wünschenswert. Was das Buch ausmacht ist auch weniger die kompetente Sachlichkeit der Erörterungen, sondern die lebendige Art und Weise, in der Albert Mudrian die Dinge schildert. Wenn er manchmal Wert auf Nebensächlichkeiten legt, so hilft das oft, die Personen von einer ganz anderen Seite zu beleuchten. Wenn er Zitate zweier Persönlichkeiten gegeneinander ausspielt, kristallisieren sich die Knackpunkte der Subjektivität heraus. Das Besondere an CHOOSING DEATH besteht nicht in seiner Fülle. Das Buch hegt

Albert
Der Autor: Albert Mudrian

nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern schweift auch mal ab und blickt zur Seite. Was CHOOSING DEATH ausmacht sind die vielen Kleinigkeiten, die man durch die involvierten Personen erfährt. Und die Liste dieser Personen ist lang. So lang sogar, dass ich hier gar nicht erst anfangen will Namen zu nennen.

Was CHOOSING DEATH aber hauptsächlich ausmacht sind die schier endlosen Anekdoten, die den Leser mal verwundern, mal zum Nachdenken anregen und ein anders Mal zum Lachen bringen. So viele Dinge erfährt man, die nicht essenziell sind, aber dennoch wichtig für die Lebendigkeit sind. Der Leser erfährt, dass NAPALM DEATH einfach nur die schnellste Band des Planeten sein wollte, wie MORBID ANGEL sich bei ihren ersten Konzerten die Arme aufschnitten, um extrem zu sein, wie die schwedische Szene sich abseits der Städte und Dörfer versammelte um zu headbangen. Man muss schmunzeln, wenn man liest, wie Glen Benton in das New Yorker Roadrunner-Büro stürmte, dem telefonierendem Connor das AMON-Tape auf den Schreibtisch knallte, Sign us, you fucking asshole brüllte und wieder herausrannte.

Die Schwarz-Weiß-Fotos, die teilweise fast bis zurück in die Gründungszeiten der Bands datiert sind, tun ihr übriges zu der Nostalgie dazu. Es wird so unsagbar deutlich, wie wichtig das ganze Tape-Trading Ding für die Szene war. Es ist faszinierend, welche Wege diese Tapes nahmen, wie oft sie kopiert wurden und wie eng der Zusammenhalt der Szene war, die heute fast gar keine mehr ist. Es ist sogar rührend, wie sich die – nicht selten blutjungen – Musiker ihrer Musik verschrieben hatten, mit welcher Zielstrebigkeit sie ihr Ding durchzogen und wie daraus eine Musikrichtung entstanden ist, die heute einer ungleich größeren Masse zu gefallen scheint.

Zu guter Letzt gibt das Buch in einem Kapitel recht deutlich wieder, was passierte, als Death Metal praktisch groß wurde. Alle essenziellen Bands landeten auf Major-Labels, Earache vertickte die Bands an Majors, die Agenturen richteten ihre Augen – und auch ihre Hoffnungen – auf Death Metal-Bands. Doch die Verkaufszahlen sinken schnell wieder, der kommerzielle Boom, den die extreme Musik erleben durfte, beschränkte sich auf die frühen Neunziger. Etwa an dieser Stelle beginnt das kleine Death Metal-Herz zu weinen. Teils aus Trauer, teils aus Freude. Aus Trauer, wenn es liest, wie sich Bands verändern, um in den Mainstream zu passen, aus Freude, wenn es liest, wie viele der Bands eben das nicht tun. Aus Trauer, wenn es merkt, welche negativen Folgen, Intrigen und Geschäfte, das ganze Major-Business vielleicht auf die Szene hatte. Aus Freude, wenn es von Leuten lesen darf wie Barney Greenway, der über die Entscheidung von Earache, NAPALM DEATH auf ein Major-Label zu hieven, erbost reagiert und schimpft wie ein Rohrspatz, weil dies seiner Vorstellung der Grindcore-Attitüde widerspricht.

So spannt der Autor den Bogen der Geschichte bis in die Jahre nach der Jahrtausendwende und irgendwann schließt sich damit der Kreis in den Köpfen des Lesers und dann ist eins sicher: Das Hörgefühl der alten Platten wird nie wieder dasselbe sein, wie vor der Lektüre von CHOOSING DEATH.

CHOOSING DEATH: The Improbable History Of Death Metal & Grindcore ist etwas, auf das man sich einlassen sollte, sofern man sich für Geschichte und Details dieser Musik interessiert – und der englischen Sprache mächtig ist, denn auf deutsch wurde das Buch bisher nicht übersetzt.

Also stell dir jetzt einfach vor, Glen Benton stürmt bei dir ins Zimmer, knallt dir dieses Buch auf den Tisch und herrscht dich an: Read this, you fucking asshole!

Verlag: Feral House

Sprache: Englisch

ISBN: 1-932595-04-X

Erscheinungsdatum: 2004

Homepage: www.choosingdeath.com

Preis: 18,95 €

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