blank

JOHN PETRUCCI: Suspended Animation

Technisch, modern, virtuos – aber noch nicht vollkommen.

Ein längst überfälliger Schritt ist das erste Soloalbum des DREAM THEATER-Saitenmagiers JOHN PETRUCCI. Durfte der Berklee-Absolvent seine Solo-Qualitäten bereits auf einer G3-Tour beweisen, so fehlte eigenes Solomaterial bisher gänzlich. Zwar weiß jeder, der irgendwann mal ein Studioalbum seiner Hauptband gehört hat, dass Petrucci wohl zu der ersten Riege der Sologitarristen zu zählen ist, aber um sich in den Himmel mit STEVE VAI, ANDY TIMMONS, JOE SATRIANI und ERIC JOHNSON teilen zu können, braucht es einfach ein eigenes Album, ein Album, das nur für Petrucci spricht, für niemanden sonst.

Die Spannung ist somit enorm, vom Musicman-Endorser erhofft man sich schließlich neben dem Erwarteten auch das Unerwartete. Suspended Animation beginnt jedenfalls zunächst mit den DREAM THEATER-typischen dropped Sounds, die sich über die letzten Jahre etabliert haben. Bereits nach wenigen Sekunden zeigt Petrucci, dass er Tonleitern klettern kann und außergewöhnliches Händchen für synergetische Klänge besitzt. Für ein Gitarristen-Soloalbum ist das alles erstaunlich modern und wenig klassisch. Keine Standards, kein Blues. In Jaws Of Life werden in den Sologitarren-zentrierten Teilen Erinnerungen an das LIQUID TENSION EXPERIMENT wach. Jedoch ist Suspended Animation keine 14-tägige Jam-Session – eine Aussage ohne Abwertung -, sondern ein von Anfang bis Ende komponiertes Album. Egal, ob heavy wie in Damage Control oder mit viel positiven Esprit wie in Glasgow Kiss, jeder Ton sitzt. Der einzige Track, der aus diesem energetischen Reigen ausbricht, ist die Ballade Wishful Thinking. Die umschmeichelnden Harmonien muss man nicht mögen, aber auch dieser Song hat einige ansprechende Mid-Tempo-Solopassagen. Ein echtes Highlight ist hingegen Tunnel Vision, das mit seinen Synthie-Sounds irgendwo in den Gefilden von Demels ERRORHEAD oder SATRIANIs Engines Of Creation schwirrt. Jedoch erreicht Suspended Animation niemals eine klare Trennung zwischen Solo- und Rhythmusarbeit. Sie ist auch nicht gewollt. Stets klingen die beiden hörbaren Gitarrenspuren gleichberechtigt. Das schließende Animate-Inanimate ist hingegen ein experimenteller Track, der auch einige dynamische Momente hat, die auf Suspended Animation ansonsten etwas kurz kommen. Hier liegt auch der Unterschied zu einem ANDY TIMMONS begraben, der auf dem exzellenten That Was Then, This Is Now allerlei warme Klangbilder und viele crunchy Sounds verwendete. Petrucci ist einfach kälter, moderner, technischer und in seinen Strukturen wesentlich komplexer als seine Gefährten. Auf den Saiten rasen können sie alle. Apeggios sweepen, atemberaubende legato Reihen – eine Selbstverständlichkeit.

Vielleicht hat man von Petrucci für sein Soloalbum erwartet, dass er seine technische Moderne mit dem ultimativen Ton und Gefühl vereinen kann. Möglicherweise hat er das Ziel genauso verfehlt wie die letzten beiden DREAM THEATER-Alben. Eine Krise mit Struktur? Petruccis überragendes Gefühl sollte eigentlich spätestens nach den ersten zwei Minuten seines Lehrvideos Rock Discipline bekannt sein. Solche zwei perfekten Minuten fehlen Suspended Animation einfach. Doch wird man seinem Erstling mit dieser Kritik nicht gerecht, denn Petrucci hat dort Struktur, wo es anderen krankt, er hat die Heaviness wie kaum ein zweiter und ist in seiner Modernität allen weit voraus.

Trotzdem wurde die ultimative Symbiose aus Heaviness, Klischees, Gefühl und Technik noch nicht erreicht und so bleibt die Erkenntnis, dass TIMMONS, VAI, PETRUCCI, SATRIANI trotz aller Virtuosität noch viel voneinander lernen können. Und damit ist doch alles in Ordnung, oder?

Veröffentlichungstermin: 01.05.2005

Spielzeit: 48:15 Min.

Line-Up:
John Petrucci – Guitars

Produziert von John Petrucci
Label: Sound Mind Music

Homepage: http://www.johnpetrucci.com

Tracklist:
1 Jaws of Life

2 Glasgow Kiss

3 Tunnel Vision

4 Wishful Thinking

5 Damage Control

6 Curve

7 Lost Without You

8 Animate-Inanimate

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner