FARIN URLAUB: Am Ende Der Sonne (Album) / Dusche (Maxi)

"Ich trinke äußerst selten Blut, Urin schmeckt fast genau so gut"

Das ist es also, das zweite full length-Soloalbum des am 27.10.1963 in Berlin als Jan Vetter-Marciniak geborenen ehemaligen KING KONG-Sängers/Gitarristen.
Und es ist und klingt anders als noch das Endlich Urlaub-Debüt, das über ein deutlich größeres Spaßpotential verfügte.
Nein, es ist immer noch zu hören, dass der bekennende Vegetarier und Anti-Alkoholiker die vierzehn (na ja, eigentlich sind es ja fünfzehn, doch dazu später mehr) Songs auf Am Ende Der Sonne (das kurz nach Erscheinen Platz Eins der Albumcharts belegte) im Alleingang geschrieben, eingespielt und produziert hat.

Aber im Jahre 2005 klingen viele Songs – getreu dem Motto Warum vier Gitarrenspuren aufnehmen, wenn´s auch zehn sein können? – doch krachiger und lauter bzw. viele Texte ernster und nachdenklicher, als man das vielleicht erwarten durfte.
Sicher, der für FARIN URLAUB-Verhältnisse recht heftige Opener Mehr (textlich ein ironisches Hallo, hier bin ich wieder, musikalisch eine Mischung aus THERAPY? und den FOO FIGHTERS) gehört nicht zu diesen ernst-nachdenklichen Stücken, aber Kein Zurück ist durchaus als ein solcher zu bezeichnen, handelt es sich hier und dank Textzeilen wie Soll das Zucken deines Zeigefingers wirklich der letzte Akt in deinem Leben sein? um eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstmord.

Sonne erinnert an die o.g. THERAPY?/FOO FIGHTERS-Mixtur und beschäftigt sich inhaltlich mit dem Umstand, dass die Welt sich immer weiter dreht, egal wie schlecht einem ganz persönlich gehen mag.
Recht rockig kommt Unsichtbar aus den Boxen und hier geht es eine Person, in die man verliebt ist, die aber lediglich Ablehnung signalisiert – aber man will die Hoffnung auf ein Happy End nicht aufgeben – kennen wir diese Situation nicht alle?
Schon Wieder ist dagegen nur eine kurze wie instrumentale Verschnaufpause mit Pianobegleitung.
Das Ska-lastige Wie Ich Den Marilyn-Manson-Ähnlichkeitswettbewerb Verlor (mit Bläser-Einsatz der THE BUSTERS, weiblichen Backing-Chören) gehört für mich zu den Highlights dieser Scheibe, nimmt das Ich bin Evil-Getue einiger vermeintlicher Rock-Stars auf die Schippe und überzeugt durch Grimme-Preis-verdächtige Textzeilen wie Ich trinke äußerst selten Blut, Urin schmeckt fast genau so gut, Der Mann vom Zoll wollte kein Autogramm von mir, denn ich hab nicht mal ´ne Scheide auf den Bizeps tätowiert oder Ich habe blond gefärbtes Haar, weil´s in den 80-ern Mode war. Und wenn ich schlechte Laune hab´, dann fluche ich sogar ein bisschen.

Das laute wie leise Immer Noch beschreibt das Warten und die Hoffnung auf ein durch und durch positives Ereignis, das vielleicht eines Tages irgendwann und ganz bestimmt mit hundertprozentiger Sicherheit eintritt.
Mit dieser Laut-Leise-Dynamik arbeitet der fünf Sprachen (deutsch, englisch, portugiesisch, italienisch und spanisch) sprechende Berliner, der sich nur deshalb das Pseudonym FARIN URLAUB zulegte, weil Rudi Schenker und Jolly Jumper schon vergeben waren!, auch bei Porzellan (hier geht es um Menschen, die nicht zufrieden sind, mit dem was sie haben, sondern gerne das haben/sein wollen, was andere bereits haben/sind).

Ebenfalls mit Ska-Klängen angereichert wurde Alles Dasselbe, d.h. auch hier bekommt der Hörer von den THE BUSTERS kräftig einen geblasen. Textlich geht es darum, dass doch jeder Mensch nur seine ganz persönlichen Ansprüche – egal ob genug Vitamine, frisches Gemüse, kein Fett, ´nen MP3-Player mit alles von SLAYER, ´n Penthouse in der City, ´ne Villa am Meer ´ne Yacht in Pearl Harbour oder ´ne Jolle in Leer – erfüllt haben möchte, so unterschiedlich diese Ansprüche auch sein mögen.

Augenblick kann man durchaus als Liebesleidenslied verstehen und auch Apocalypse Wann Anders ist trotz einer dunkel-düsteren Einfärbung aus dem THE CURE-Notenköfferchen eine echte Liebeserklärung nach dem Motto Egal ob Tod oder Weltuntergang – mit einem geliebten Partner an der Seite fürchtet man sich vor nichts.

Mit Dermitder (sehr Ska-lastig), Dusche (mit Streicherklängen und Tönen aus der Industrial-Ecke) und Unter Wasser (recht flott und mit fetten Orgelsounds verziert) hat Herr Urlaub noch drei weitere Songs auf das Album gepackt, die mich musikalisch zwar nicht in eine Jubelarie ausbrechen ließen, aber auch nicht als schwach bezeichnet werden sollten.
Leider kann ich gerade bei diesen Songs auch nichts zu den Texten sagen, denn entweder will der Texter mit diesen wirklich nicht sagen oder ich weiß nur nicht, was!

Unterm Strich ein wirklich starkes Album, das anfangs zwar etwas ungewohnt klingt, aber mit jedem Durchlauf mehr und mehr Klasse entfaltet.

Aber eine Frage hab´ ich noch:
Warum haben es eigentlich die Songs Noch Einmal und das mit einem Saxophon-Solo verstärkte Klasse nicht in die reguläre Tracklist geschafft?
Für mich gehören diese beiden Stücke definitiv zu den stärksten neuen Songs aus Farins Feder.
Der Hidden-Track Noch Einmal (der gar nicht so hidden ist – man braucht nur vor dem ersten Track Mehr auf Zählerstand MINUS 4:42 Minuten zurückspulen) ist ja noch auf dem Album zu hören ist und eine beschreibt Person, die ihren Partner liebt, obwohl dieser sie erniedrigt und/oder demütigt.
Auch hier glänzt Herr U. mit krank-genialen Textpassagen wie Ein blaues Auge ist noch lange nicht genug. Ich brauch mehr Blut auf meinem Bettbezug, Ich bin so einsam, wenn du gehst, so wie du mir den Kopf verdrehst, hab ich danach ein Schleudertrauma oder Hab keine Flugzeuge im Bauch – nein, das ist ein stabiler Arbeiterschuh!.
Oder sollte es sich hier gar um eine kleine SM-Hymne handeln?

Klasse dagegen wurde lediglich als Bonussong für Dusche verbraten – der ersten Single-Auskopplung, auf der neben dem Dusche-Song auch das entsprechende Video zu sehen und der entbehrliche kurzknackigkrachige Punkrocker Alle Fragen Dieser Welt zu hören ist.
Klasse trägt seinen Titel völlig zu Recht und ist eigentlich der Gegentext zum Track Zu Spät einer nicht gänzlich unbekannten Band aus Berlin (…aus Berlin).

Während es in diesem Song (den rein zufällig auch Herr Urlaub geschrieben hat) um eine Frau geht, die einen Mann nur aufgrund seiner Kohle und Statussymbole liebt (Ich weiß, was Dir an ihm gefällt, ich bin arm und er hat Geld! Du liebst ihn nur, weil er ein Auto hat und nicht wie ich ein klappriges Damenrad! handelt Klasse von dem genauen Gegenteil.
Oder wie würdet ihr Textzeilen wie Ich dachte, dass dir mein Auto gut gefällt, ich dachte, du magst mein Haus und mein Boot und mein Pferd und natürlich mein Geld, Wozu häng ich zuhause die goldenen Schallplatten auf? Wozu hab ich mir hundert verschiedene teure Gitarren gekauft?, Du sagst die Penthouse- Wohnung, die brauch ich nicht mehr. Wegen dir stehen sechstausendsechshundertsechzig Quadratmeter leer oder Und sogar mein Flugzeug, wär’ dir völlig egal. Es tut mir ja leid dir das sagen zu müssen, du bist nicht normal! deuten?

Veröffentlichungstermin: 29.03.2005

Spielzeit: 51:57 Min.

Line-Up:
Farin Urlaub (Gesang, alle Instrumente – bis auf ein paar…)

Produziert von FU
Label: Völker hört die Tonträger

Homepage: http://www.farin-urlaub.de

Tracklist:
Mehr

Sonne

Augenblick

Porzellan

Unter Wasser

Wie Ich Den Marilyn-Manson-Ähnlichkeitswettbewerb Verlor

Unsichtbar

Apocalypse Wann Anders

Schon Wieder

Immer Noch

Alles Dasselbe

Kein Zurück

Dermitder

Dusche

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