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NIGHTWISH, TRISTANIA, Stuttgart, Schleyer-Halle, 28.2.2005

Die Band legte an diesem Abend eine enorme Spielfreude an den Tag. Tarjas Stimme klang erstaunlich voluminös. Marcos Gesang rockte das Haus. Dass nach 90 Minuten schon Schluss war, war etwas irritierend. Doch in dieser Zeit haben NIGHTWISH es geschafft, mich (und wie mir schien viele andere ebenfalls) zu überzeugen und nahezu rückhaltlos zu begeistern. Da war definitiv ein Hauch von Magie zu spüren! TRISTANIA waren langweilig.
TRISTANIA blieben trotz einer entschlossenen Performance ziemlich unspektakulär.

Der letzte Februartag des Jahres begann alles andere als ideal. Nachdem ich extra schon um 2:30 Uhr aufgestanden war, gingen alle meine Lieblinge (Stichwort: Natalie Portman) bei der Oscar-Verleihung leer aus. Weiter ging es mit kältebedingtem ÖPNV-Chaos, dank dem ich 30 Minuten in eisiger Kälte auf dem Bahnsteig stand und mehr als anderthalb Stunden zu spät ins Büro kam. Immerhin fuhr dann die U-Bahn pünktlich Richtung Schleyer-Halle, so dass mir wenigstens ein Marsch durch die Kälte erspart blieb. Am Eingang der Halle tummelten sich bereits etliche Fans. Drinnen war es dann glücklicherweise ein paar Grad wärmer. Außerdem schallte AC/DC aus den Boxen, was die Wartezeit mehr als erträglich machte. Gegen 20 Uhr betraten dann TRISTANIA die Bühne, die ihrem Namen alle Ehre machten und sehr trist waren. Die Band agierte zwar motiviert und tight, doch die Musik blieb gesichtslos. Ich würde gerne schreiben, dass die Klänge aus den Boxen eine fade Mischung aus Aggressivität, Melodie, Bedrohlichkeit und Atmosphäre waren, bei der die einzelnen Zutaten mit jeder Menge songwriterischer Unentschlossenheit gestreckt worden waren. Aber ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern, da den Liedern jegliche Wiedererkennungsmerkmale fehlten. Um so besser erinnere ich mich an die Umbaupausenmusik, Edward The Great, die meine Stimmung anhob und zugleich eine gelungene Überleitung zum Hauptact des Abends darstellte. Denn das zweite Heavy Metal-Konzert meines Lebens war 1993 IRON MAIDEN in eben dieser Halle.

NIGHTWISH starteten nach The Evil That Men Do ähnlich brachial wie seinerzeit die eiserne Jungfrau mit Be Quick Or Be Dead und legten mit Dark Chest Of Wonders einen Einstand nach Maß hin. Waren TRISTANIA noch öde und ihre Samples im Hintergrund geradezu heuchlerisch, ging bei NIGHTWISH vom ersten Ton an die Luzi ab! Das war wirklich erstaunlich, da ich diesbezüglich so meine Bedenken hatte. Doch obwohl diverse Keyboards und das Orchester vom Band kamen, rissen mich die Finnen augenblicklich mit! Natürlich habe ich jetzt eine mittelschwere Persönlichkeitskrise zu bewältigen. Aber während des Auftritts dachte ich nicht daran. Die vier Musiker platzten schier vor Spielfreude, Gitarrist Emppu rannte pausenlos rum wie Janick Gers zu seinen besten Zeiten! Bassist Marco war auch in sehr lauffreudiger Verfassung und Tuomas bangte über seine Keyboards gebeugt wie ein Wahnsinniger. Schlagzeuger Jukka war im Vergleich zu den CDs nicht wiederzuerkennen. Er gab dem Kitsch keine Chance und drosch mit viel Wucht auf sein Drumkit ein, ohne dabei die Präzision zu vernachlässigen.

Tarja
NIGHTWISH-Blickfang Tarja war stimmlich in ausgezeichneter Verfassung und ließ sich von der Spielfreude ihrer Bandkollegen anstecken.

Tarja war auch mit von der Partie und sang ausgesprochen gut. Was auf den Alben schrill klingt, klang an diesem Abend erstaunlich voluminös. Was auf den Alben sehr schrill klingt, klang – nun ja – immer noch schrill. Doch während viele Leute (männlich wie weiblich) gebannt auf Tarja starrten, deren optische Mischung aus rot (Kleider, Mikrofon!) und schwarz (Haare, andere Kleider) wirklich cool rüberkam, zog spätestens ab dem zweiten Song, Planet Hell, immer wieder Marco meine Aufmerksamkeit auf sich: Der Typ ist nicht nur ein ausgezeichneter – weil für Heaviness sorgender – Bassist, sondern auch ein begnadeter Sänger! Wirklich! Den hätten MAIDEN damals nehmen sollen! Er durfte zum Glück recht häufig singen und übernahm auch einen Großteil der Moderation. Tarjas Gesang war dagegen fast wie die Dinosaurier im ersten Jurassic Park-Film: Sie kamen eigentlich kaum vor, und doch drehte sich fast alles um sie!

Tuomas
Tuomas und Marco rockten die gut gefüllte Schleyer-Halle überwiegend mit neuem Songmaterial. Außerdem zauberten NIGHTWISH eine mehr als gelungene Coverversion von PINK FLOYDs High Hopes aus dem Ärmel.

So gab es nach einigen Songs auch eine Pause für sie. Tuomas kündigte ein Stück von einer alten Progressiv Rock-Band namens PINK FLOYD an. Es folgte High Hopes, wobei NIGHTWISH das Kunststück gelang, dem Song ihren Stempel aufzudrücken ohne ihn zu zerstören (weder Song noch Stempel)! Einerseits war diese Version heavier als das Original, andererseits hatte sie immer noch diese geniale Atmosphäre. Marco sang anfangs recht tief, wobei seine Stimme nicht ganz so gut zur Geltung kam. Doch nach und nach ging er höher und am Ende war alles nur noch sensationell schön, bewegend, grandios! Rachendrachen wäre vermutlich auf die Bühne gestürmt, als Emppu am Ende einige Frickelskalen in sein Solo einbaute. Aber der Reste der Band übertönte ihn fast (obwohl man die Gitarre ansonsten sehr gut hörte), so dass das das Hörerlebnis nicht schmälerte.

Tarjas anschließende Rückkehr tat meiner Stimmung zum Glück keinen Abbruch, da mit Bless The Child der Song folgte, der meine Nightwishophobie wohl erstmals ins Wanken gebracht hatte. Jedenfalls klang der hohe Gesang der Frontfrau an diesem Abend souverän und harmonierte prächtig mit dem sinfonischen Metal der restlichen Band. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt längst die Strapazen des zurückliegenden Tages vergessen und war völlig in die Welt der Wunder und Wünsche eingetaucht. Nur am Rande nahm ich noch unzählige Pyro-Flammen und Tarjas Garderobenwechsel wahr.

Tuomas
Bandkopf Tuomas bereitete der Auftritt vor 10000 Leuten sichtlich Freude.

Natürlich kam es mir sehr entgegen, dass die Band nur neuere Songs spielte. Und selbst das Wishmaster-Tralala klang ganz nett. (Oh Gott, was schreibe ich!? Hilfe!!!) Die zum Orchesterplayback gesungene Ballade Kuolema Tekee Taiteilijan war allerdings eher ein Hänger, der ähnlich wie das eigentlich schöne Nemo sehr sehr poppig wirkte. Doch bei den Zugaben gab es nach einer weiteren Ballade (The Sleeping Sun?) noch das epische Ghost Love Score sowie das schwungvolle Wish I Had An Angel. Die Band machte noch mal mächtig Druck, genoss sichtlich die große Bühne. Dazu gab es hübschen Kunstregen vom Bühnendach und euphorischen Applaus. Keine Frage, NIGHTWISH hatten an diesem Abend Biss und schafften es nicht zuletzt dank des ausgezeichnet ausgesteuerten Sounds, die Energie ihrer Musik bis weit ins hintere Hallendrittel zu transportieren.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber dass die Schleyer-Halle (von Marco zärtlich in Slayer-Hall umbenannt) am Ende voll war (Laut Marco betrat kurz vor ihrem Auftritt der/die 10001. Zuschauer/in die Halle!), verblüffte mich doch gewaltig. Immerhin war die Halle bei DEEP PURPLE bzw. GENESIS Ende der 90er leerer gewesen! Unglaublich! Alles in allem war das Konzert also ein voller Erfolg für die Band. Dass nach 90 Minuten (inklusive Zugaben) schon Schluss war, war etwas irritierend. Doch in dieser Zeit haben NIGHTWISH es geschafft, mich (und wie mir schien viele andere ebenfalls) zu überzeugen und nahezu rückhaltlos zu begeistern. Da war definitiv ein Hauch von Magie zu spüren!

So, und nun muss ich zu meiner Therapeutin wegen meiner Persönlichkeitskrise.

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