WINDIR: Heidra Valfar–Ein Abschiedskonzert für Valfar mit WINDIR, ENSLAVED, FINNTROLL und MINDGRINDER, 3.9.2004, Rockefeller Music Hall, Oslo (NO)

Das letzte Mal WINDIR live. Mit 1200 Leuten nahm die norwegische Schwarzmetallgemeinde in Oslo musikalisch Abschied von Valfar.

Eigentlich sind Metal-Konzerte ja eine entspannende Freizeitbeschäftigung. Kumpels treffen, gemütlich eins zusammen trinken und die Klänge geniessen, welche die Musiker mit mehr oder weniger Schweiss und Anstrengung ihren Instrumenten entlocken. Danach ist man in einer oder zwei Stunden zu Hause und erscheint höchstens ein bisschen übernächtigt bei der Arbeit am nächsten Morgen (an Wochenenden wird natürlich gemütlich ausgeschlafen).

Ganz anders gestaltet sich das Unternehmen Metalkonzert wenn es unter dem Motto Heidra Valfar—Avskjedskonsert stattfindet. Bereits der Titel kann – trotz kürzlicher hitziger Debatte – kaum der neuen Rechtschreibereform entsprungen sein. Somit verrät die Sprache die Lokation dieses Ereignisses: Norwegen, genauer gesagt die Rockefeller Music Hall in Oslo, würde der Ort des Geschehens an diesem Freitagabend sein. Mit entspannter Hinreise ist somit nix, es gilt, einen Flug zu erwischen, der um halb vier Zürich verlässt und nach einer Zwischenlandung in Hamburg genau um 20:20 in Oslo ankommt. Der nächste Expresszug bringt einen zum Hauptbahnhof der norwegischen Hauptstadt und nachdem man das Hotel erspäht hat, schafft man es noch knapp zu Fuß zur Rockefeller Music Hall.

Dort angekommen kann man jedoch nicht ungestört den verzerrten Klängen von MINDGRINDER lauschen, sondern muss sich noch dem norwegischen Garderoberitual hingeben, sprich: Rucksack weg und rein in den komplett rauchfreien Saal (die drakonischen Strafen für Fluppen-Liebhaber werden bereits am Eingang schriftlich aufgelistet). Die Halle ist dem Anlass entsprechend voll: es gilt Abschied zu nehmen von WINDIR-Gründer Valfar, der im Frühjahr 2004 erfroren war. Ein Kondolenzbuch liegt aus und nur wenige Schwarzmetaller lassen es sich nehmen, ihre Gedanken darin zu hinterlassen. Schließlich erinnert auch das Datum dieses Anlasses stets an Valfar – an diesem 3. September wäre er 26 Jahre alt geworden. Sein Vermächtnis – vier neue WINDIR Songs – werden ebenfalls an diesem Abend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und schließlich markiert dieses Konzert auch das Ende von zehn Jahren WINDIR.

Den musikalischen Auftakt machen MINDGRINDER, von denen der Weitgereiste gerade noch die letzten Takte groovigen Death Metal aufschnappen kann. Während der Umbaupause dröhnt Old School Black Metal aus den Boxen, zum Zuge kommen alte Werke von ISENGARD, IMMORTAL und BATHORY. Mit 1,75 Meter Größe hat man kaum Chancen auf eine klare Sicht auf die Bühne, überall ragen die Norweger ins Blickfeld. Der Weg zum Balkon ist nicht gerade einfach, die Kombination Bier mit Gedrängel ist allgegenwärtig und immer wieder zwängt man sich an Trägern von alten oder äußerst bizarren Black Metal-Shirts vorbei (hierbei ist zu beachten, dass es sich etwa bei FURZE nicht um eine Aufforderung, sondern um eine Trondheimer Schwarzwurzeltruppe handelt).

Ungefähr nach einer Viertelstunde Umbaupause betreten FINNTROLL die Bühne. Die englischen Ansagen werden je nach Thematik mit einem frenetischen Grollen vom Publikum abgefeiert. So führen hier Sätze wie The next song is about hunting bei den Zuhörern zu Johlen und Klatschen und vermutlich einigen glücklichen Erinnerungen an eigene Jagderfahrungen. Von FINNTROLL eher ungewohnte antichristliche Äußerungen (I´m talking about 2000 years of incompetence nailed to the cross) und Aufforderungen zur Wiederherstellung der eigenen Ehre werden ebenfalls mit schwingenden Biergläsern lautstark goutiert. Der Geruch der Band geht infolge der gefüllten Halle vollends unter und es wird eifrig getanzt zu Songs wie Trollhammaran und Nattfödd. Auch die Trolle halten sich – bis auf Sänger Wilka und Keyboarder Trollhorn – an den Dresscode des Abends: Schwarz und ein T-Shirt mit WINDIR-Logo. Verschwitzt und aufgeputscht hinterlassen sie ein Publikum, das nun nach den Klängen ihrer Landsmänner dürstet…

Nach noch mehr altem Schwarzmetall aus den Boxen und einigen ernsthaften Ausweichmanövern bezüglich bierseeliger Wikinger entern ENSLAVED die Bühne. Von nun an gibt es nur noch norwegische Ansagen, der Heimvorteil zeigt sich auch bei den aus Bergen stammenden ENSLAVED mehr als deutlich. Aufmerksam lauscht das Publikum den Ansagen, noch mehr øl wird konsumiert und ENSLAVED liefern einen erstklassigen Schwarzmetall-Auftritt ab. Vergessen sind peinliches Schwert-Gepose und mitleidiges Gejammer: Als Opener fungiert Loke vom Frost-Album, danach dröhnen sie ihrer Hörerschaft unter anderem Slaget I Skogen Bortenfor von der Split-CD um die Ohren. Die Ansagen sind ausgedehnt und ENSLAVED gestalten jede Minute ihres Gigs mit einer Leidenschaft, die ihresgleichen sucht und wohl nicht zur Geltung kommt, wenn sie südlicheren Gefilden auftreten. Das Brodeln im Saal kann somit zurecht diesem fulminanten emotionsreichen Schwarzmetall und nicht dem Bierkonsum zugeschrieben werden.

Nach einer weiteren kurzen Umbaupause geistert ein Raunen durch den Saal. Nebelschwaden umhüllen die Bühne, zwei Tambouren betreten das Feld und trommeln die Rhythmen von Martyrium. Spontan hebt der ganze Raum an zu summen, die verbliebenen Mitglieder von WINDIR betreten die Bühne und beginnen ihr letztes Set. Als Sänger fungiert bei einigen Songs Valfars älterer Bruder Vegard, dessen Gesangsleistung sich jedoch zum Teil erheblich von derjenigen Valfars unterscheidet. Trotz der Situation betören WINDIR mit ihrem Set, präsentieren neue Songs wie Stridsmann aber auch reichlich Material von 1184 und Likferd. Die Atmosphäre pendelt zwischen Melancholie, Ergriffenheit und Ekstase, denn alle wissen, dass dies das letzte Mal ist, dass dies die letzten Momente WINDIR Live sind. Während Journey to the End erscheint auf der Leinwand hinter der Band zum letzten Mal Valfar auf der Bühne, eine Fotopräsentation ruft nochmals allen ins Gedächtnis, dass dies mehr ist als ein Metalkonzert. Das letzte Bild rüttelt auf: ein posierender Valfar, knietief im Schnee, hinter ihm die atemberaubende Winterlandschaft Norwegens. Die letzten Klänge verstummen, der Nebel verschwindet – es bleibt die Erinnerung, verewigt in den Werken WINDIRs.

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