MINISTRY: Houses of the Molé

Was für eine Rückkehr auf den Olymp des Industrialrocks!

Unter den Musen müssen einige speziell im Bereich Wiederbelebungsmaßnahmen und Frischbluttransfusionen geschulte Damen herumschwirren, die sich derletzt zu einer groß angelegten Aktion zwischen Chicago und Texas trafen, um einem kreativ wie auch körperlich ausgelaugten und schon fast tot geglaubten Al Jourgensen eine enorme Portion neuen Schwung zu verleihen. Was für eine Rückkehr auf den Olymp des Industrialrocks! Al Jourgensen selbst hingegen ist überzeugt, dass es die Abscheu gegen die republikanische Regierung von George W. Bush ist, die ihn, wie damals, als Dubjas Daddy in Washington saß und Jourgensen zum „Psalm 69“-Meilenstein und speziell dem Kracher „N.W.O.“ inspirierte, zu neuer Höchstform auflaufen lässt. Entsprechend ausgiebig beschäftigt sich Al Jourgensen, dem inzwischen sein Pendant am Bass, Paul Barker, abhanden gekommen ist, mit dem – natürlich völlig demokratisch gewählten – Führer der freien Welt, sogar ein Bush-Stimmdouble hat er engagiert, um seine apokalyptischen Rasereien mit dem passenden Samplematerial zu unterlegen. Außerdem beginnen sämtliche Songtitel mit dem unseligen Dabbeljuh – bis auf das bezeichnend „No ´W´“ betitelte Bombastinferno zu Beginn von „Houses of the Molé“. Doch Jourgensen macht nicht den Fehler, sich schlicht in Polemik und Hassparolen zu verlieren, sondern kleidet sein politisches Anliegen in extreme, äußerst aggressive, aber auch überraschend künstlerische und mitreißende Musik, die auch für sich selbst stehen kann, jedoch aus dem kongenialen Zusammenspiel mit den Texten und den Sprachsamples zusätzliche Durchschlagskraft erhält.

„Houses of the Molé“ wird von einem tempomäßig hochgepushten „Carmina Burana“-Fragment eingeleitet, das dann prompt in den thrashigen Opener „No ´W´“ umschlägt und gemeinsam mit derben Riffattacken und maschinell-kraftvollem Drumming keine Gefangenen macht. Die werden auch bei „Waiting“ nicht freigelassen, denn hier steppt die Industrialmetal-Luzie mindestens ebenso unwiderstehlich und energiegeladen. „Warp City“ hingegen dürfte allen Fans von „Jesus Built My Hotrod“ und MOTÖRHEAD zugleich Freudentränen in die Augen treiben mit seinem Rockabilly-Rhythmus in Lichtgeschwindigkeit und den simplen Rotzbollen von Riffs, die selbst Lemmy ein anerkennendes Warzenzucken entlocken dürften. Der Effekt auf den Zuhörer? Trinkt auf nüchternen Magen elf Tassen starken Kaffee, kippt ein paar Red Bull hinterher und krönt das Ganze mit diversen zuckerhaltigen alkoholischen Getränken…dann seid ihr nah dran, denke ich. Und die in so einem Fall durchaus legitime Plünderung der guten Ideen von „Psalm 69“ geht weiter mit „WTV“, das ähnlich dem „TV Song“ rasende Thrashdrums, wütende Wespenschwarmriffs und von TV-Samples unterbrochene Stakkatocollagen zu bieten hat. Wohl die beste akustische Umsetzung des alltäglichen Fernsehwahns, der so gut wie jeden mittlerweile durchtränkt! Da stellt sich jedes Nackenhaar einzeln auf, ganz ohne Hilfe der mittlerweile im Körper rotierenden Koffeinarmada. Wie man eine fiese aus den Boxen kriechende Industrialhymne in niedrigeren bpm-Regionen schreibt, veranschaulicht geradezu lehrbuchhaft „World“ im Anschluss. Ein monotones Riff, verfremdete Parolengesänge, ein hymnischer Refrain bar jeden Schmalzes und fernab jeglicher beruhigender Harmonie – so geht das! Wer war doch gleich MARILYN MANSON, hehe?

Zwar haben sich auch ein, zwei eher unspektakuläre Songs wie „Wrong“ auf „Houses of the Molé“ eingeschlichen, doch die hammerharten Übersongs regieren auf dem Album mit einer soliden, in diesem Fall auch wirklich demokratischen absoluten Mehrheit. Al Jourgensen schreit sich den Frust und die Ohnmacht angesichts der gegenwärtigen Zustände von der Seele, lässt Wut und Aggression freien Lauf und vermag es dennoch, seine Hassklumpen zu eleganten, pointierten und durch die Musik extrem nachdrücklichen Statements zu transformieren. „Houses of the Molé“ entfacht einen Sog, dem man sich wohl nur als beinharter Texaner und Bush-Verfechter entziehen kann; überdies bietet die CD den perfekten Soundtrack zu den alltäglichen Grausamkeiten in den Nachrichten, der weitaus näher an der konsequenten akustischen Umsetzung der zu sehenden Bilder und ihrer Wirkung ist als die so nüchtern-seriös gedachten Einleitungsjingles. So bleibt ein Trost, wenn George W. Bush denn im Herbst – natürlich wieder völlig demokratisch – wiedergewählt werden sollte oder sein Bruder Jeb sich eines Tages persönlich um den einwandfreien Zustand aller Wahlmaschinen kümmert und Präsident der Vereinigten Staaten von Texas wird: Al Jourgensen wird uns nicht hängen lassen und uns ein weiteres Hammeralbum servieren.

Veröffentlichungstermin: 21.06.2004

Spielzeit: 58:54 Min.

Line-Up:
Al Jourgensen – Gesang, weitere Instrumente

Mike Scaccia – Gitarre

John Monte – Bass

Mark Baker – Schlagzeug

Produziert von
Al Jourgensen
Label: Mayan Records/Sanctuary Records

Homepage: http://www.ministrymusic.org

Email: ministry@ministrymusic.org

Tracklist:
No ´W´

Waiting

Worthless

Wrong

Warp City

WTV

World

WKYJ

Worm

No ´W´ (alternative Version)

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