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NIGHTWISH: Ich habe auch nur zwei Hände

Bandkopf Tuomas Holopainen erzählt von der ´Once`-Albumproduktion, der Single ´Nemo`, den Fans und vielen anderen Dingen, die ein Musikerleben so mit sich bringt.

Mit Once haben sich NIGHTWISH gewohnt bombastisch in der Szene zurückgemeldet. Bandkopf Tuomas Holopainen erzählt im folgenden Gespräch von der Albumproduktion, der Single Nemo, den Fans und vielen anderen Dingen, die ein Musikerleben so mit sich bringt.

Wie viele Interviews zum neuen Album hast du bereits gegeben?

Es hat gerade erst angefangen. Ich bin momentan im Nuclear Blast-Büro und werde in den nächsten zwei Wochen noch viel durch Europa reisen. Bis jetzt waren es vielleicht 20 oder 30. Aber da werden noch einige Hundert dazukommen.

Haben die vielen Interviews in der Vergangenheit dazu geführt, dass du ein neues NIGHTWISH-Album aus einer ganz anderen Perspektive wahrnimmst?

Nein. Nie. Ich habe nur eine Meinung zum Album. Die ändert sich nicht, egal was die Journalisten oder Fans davon halten.

Ihr hattet ja zwischendurch eine große Pause eingelegt. Wann habt ihr angefangen, die neuen Songs zu schreiben?

Ich denke nicht, dass man es eine große Pause nennen kann. Denn wir haben weiterhin gearbeitet, vergangenen Sommer einige Shows gespielt und eine neue DVD rausgebracht. Seit der Veröffentlichung von Century Child sind zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre Abstand zwischen zwei Alben sind in Ordnung, finde ich. Es war auch viel los mit Nebenprojekten und allem. Ich habe mit den Arbeiten an die Songs für Once wohl irgendwann Anfang letzten Jahres begonnen.

Seid ihr unter Druck gestanden ein Album aufzunehmen, oder war es eine freiwillige Entscheidung?

Es gibt immer Druck. Je mehr erfolgreiche Alben man macht, desto größer wird der Druck. Aber dieses Mal war es in vielerlei Hinsicht anders. Ich war von Anfang an sehr überzeugt von dem neuen Material. Die Chemie innerhalb der Band stimmte besser denn je. Obwohl es unser bisher schwierigstes Album war – 6 Monate im Studio, Proben und so weiter – hat es sehr viel Spaß gemacht. Ich habe nie den Glauben daran verloren.

Mit Nemo habt ihr eure mittlerweile siebte Single am Start. Würdest du NIGHTWISH deshalb als eine Single-Band sehen, oder stehen die Alben eher im Vordergrund?

Auf jeden Fall die Alben! Es gibt heutzutage so viele Bands, die eine gute Single rausbringen, während der Rest des Albums richtig mies ist. So etwas würde ich nie machen wollen. Es ist eine sehr undankbare Sache, eine Single zu veröffentlichen. Man zeigt immer nur ein Lied aus dem Album. Ich betrachte unsere Alben als eine Einheit. Es sind elf Stücke drauf, die alle gleich wichtig sind. Man sollte auf jeden Fall zuerst das ganze Album anchecken.

Es gibt vier verschiedene Versionen von der neuen Single. Sammelst du deine ganzen NIGHTWISH-Veröffentlichungen?

So viele, wie ich kann! Aber es läuft so viel, dass ich nur noch schwer mithalten kann. Ich bin nur ein Musiker und schreibe die Songs. Die Plattenfirmen können dann im Prinzip damit machen, was sie wollen. Es gibt also einige seltsame Veröffentlichungen, von denen ich gar nichts mitbekomme.

Hast du noch einen Plattenspieler?

Nein. Aber ich sammle trotzdem die LPs, weil sie so cool aussehen!

Ihr habt auf dem neuen Album noch mehr Orchestersachen als früher. Ich habe gelesen, dass ihr das Orchester erst aufgenommen habt, als der Aufnahmeprozess bereits sehr weit fortgeschritten.

Wir haben das ganz gegen Ende gemacht. Schlagzeug, Bass, Gitarren und Keyboards waren bereits im Kasten. Dann sind wir mit den Spuren nach London gereist und haben dort das Orchester und den Chor aufgenommen.

Warst du nervös, was das Resultat angeht?

Ich war aufgeregt und auch ein bisschen nervös. Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, die Arrangements vorab zu hören. Denn der Mensch, Pip Williams, er benutzt keine Computer. Er schreibt alles von Hand. Deswegen war es ein spannender Moment, als wir dort hinkamen und hörten, wie sie die Lieder zum ersten Mal spielten.

Auf der anderen Seite hatte ich großes Vertrauen in Herrn Williams und das Orchester. Sie konnten nichts falsch machen, da das Orchester auch auf den ganzen Soundtracks zu Der Herr der Ringe, Harry Potter und so weiter zu hören ist. Sie sind wirklich erstklassig.

NIGHTWISHSeid ihr denn in der Lage, so orchestrale Lieder wie Creek Mary`s Blood und Ghost Love Score live zu spielen?

Wir werden jetzt graue Haare bekommen, wenn wir uns mit einem Liveset beschäftigen. Es gibt ein paar Songs, die wir unmöglich ohne das Orchester spielen können. Zugleich ist es unmöglich, das Orchester bei den Auftritten dabei zu haben. Creek Mary`s Blood ist zum Beispiel ein Stück, das wir meines Erachtens niemals werden live spielen können.

Aber es gibt auch einige Lieder, die spielbar sind. Wir müssen nur Livearrangements für diese Stücke austüfteln. Die Verwendung von Mini-Discs ist dabei unvermeidlich. Denn wenn auch nur ansatzweise an den Albumsound herankommen will, muss man einfach Tapes benutzen. Ich habe auch nur zwei Hände.

Wann habt ihr die Tracklist für Once festgelegt?

Wir haben insgesamt 14 Lieder aufgenommen. Sehr früh stand fest, welche Songs wir weglassen werden.

Ihr habt also alles aufgenommen und danach beschlossen, dass Dark Chest of Wonders der erste Song wird und so weiter?

Ja. Allerdings war von Anfang an auch klar, dass Dark Chest of Wonders der Opener werden würde. Die Reihenfolge der anderen Songs änderten wir einige Male, bis wir eine richtig gute Mischung hatten. Anfangs war ich mir lediglich sicher, dass Dark Chest of Wonders der erste und Higher Than Hope der letzte Track werden würde.

Auf euren früheren Alben hattet ihr immer wieder einige schnellere Stücke. Hast du in letzter Zeit mal überlegt, wieder einen Speed Metal-Song zu schreiben?

Ich weiß nicht. Ich schreibe einfach die Stücke, die sich natürlich entwickeln. Ich nehme mir nicht vor, dass ich jetzt einen schnellen Song oder eine Ballade schreiben muss. Die Songs entstehen natürlich so, wie sie sind. Es gibt aber sicherlich einige thrashige Elemente. Wenn du beispielsweise Romanticide anhörst, ist da noch immer Geschwindigkeit und Power dahinter. Ich glaube nicht, dass wir je an Heaviness verloren haben. Wir haben nur die Geschwindigkeit ein wenig gedrosselt.

Was die Heaviness angeht, so finde ich, ist Once härter als alles, was ihr zuvor gemacht habt.

Das glaube ich auch.

Übst du noch regelmäßig auf deinem Instrument?

Ja, das mache ich tatsächlich ziemlich oft. Ich weiß, ich sollte mehr tun. Aber ich eher ein Songwriter-Typ. Immer wenn ich am Keyboard sitze, will ich Lieder erschaffen und Geschichten schreiben, und nicht einfach nur üben.

In früheren Interviews hast du dich als eine sehr naturverbundene Person beschrieben, was sich ja auch in den Texten und Bildern von NIGHTWISH widerspiegelt. Ich frage mich nur, wie das damit zusammenpasst, dass du Keyboard spielst?

Ich habe lediglich das Instrument. Ich bin der untechnischste Mensch auf der ganzen Welt. Ich habe noch so viel über Keyboards und andere technische Sachen zu lernen. Das einzige was ich im Prinzip mache, ist Sounds auszuwählen. Ich bin nicht in der Lage Sequencer-Sachen aufzunehmen oder dergleichen. Das sind alles böhmische Dörfer für mich. Es das gleiche mit Computern. Ich verstehe gar nichts von Computern. Ich schaffe es gerade noch, unsere Homepage zu besuchen. Aber das ist es auch schon.

Haben dich je analoge Keyboards wie Mellotrons angezogen?

Ich habe sie ein paar Mal ausprobiert. Aber ich bin mehr eine Korg-Person.

NIGHTWISH haben sich mittlerweile etabliert. Wie viel Raum gibt es in der Band noch für Experimente?

Ich sehe NIGHTWISH als eine Band, in der ich fast alles machen kann. Ich kann so gut wie alle meine musikalischen Eigensinnigkeiten mit der Band umsetzen, und es klingt immer noch wie NIGHWISH. Wir haben eine heftige Heavy Metal-Seite, dann gibt es die Orchester-Soundtrack-Bombast-Seite, Balladen… Wir vermischen alles, und das Ergebnis ist das, was man hört. Ich habe mich als Songwriter mit dieser Band nie limitiert gefühlt.

Hast du je daran gedacht, kein neues Album aufzunehmen und einfach mit den neuen Songs auf Tour zu gehen?

Nein… Ich muss es erst auf Band haben, auf jeden Fall.

Ihr werdet aber noch auf Tour gehen?

Ja. Wir fangen Ende Mai an und spielen ein paar Festival-Auftritte in Finnland und Europa. Die eigentliche Tour beginnt dann im August; zuerst in Amerika, dann in Skandinavien und Europa, und schließlich Südamerika.

NIGHTWISHTarjas Stimme ist ja sehr klar und sicher nicht unempfindlich. Habt ihr deshalb je überlegt, NIGHTWISH-Konzerte zu Nichtraucher-Veranstaltungen zu machen?

Oh Gott, das würde das Publikum in Aufruhr versetzen! Es ist wirklich hart. Aber wir kümmern uns um sie, so gut es geht: Es gibt niemanden, der backstage raucht, wo sie sich aufhält. Sie passt auch gut auf ihre Stimme auf. Wir gehen Kompromisse ein. Wenn wir drei Wochen auf Tour sind, müssen wir danach eine Woche Pause machen, weil ihre Stimme so empfindlich ist.

Ihr habt bereits einmal ein Remake eines älteren Stücks (Astral Romance) aufgenommen. Gibt es ein Lied, zu dem du gerne eine Fortsetzung schreiben würdest?

Nein, eigentlich nicht. Ich stehe hinter so gut wie allen meinen Liedern. Das Thema von The Beauty And The Beast auf unserem ersten Album hätte man vielleicht noch weiter ausarbeiten können, entweder als Remake oder als Fortsetzung. Aber daran habe ich bislang noch nicht gedacht.

Wird euer nächstes Album Twice heißen?

Vielleicht. Und danach Thrice and Four Times, wer weiß… Nein, ich denke nicht.

Kannst du den durchschnittlichen NIGHTWISH-Fan beschreiben? Gibt es das überhaupt?

Nein, das gibt es überhaupt nicht. Wir haben die vielfältigsten Arten von Fans auf der ganzen Welt. Man kann nicht einen einzigen Personentyp hervorheben. Bei den Auftritten sieht man die gewöhnlichen Metalheads, die sich METALLICA und DIMMU BORGIR anhören. Dann sieht man auch ältere Leute, die 40, 50 oder auch 60 Jahre alt sind und normalerweise gar keinen Metal hören. Außerdem gibt es noch Teenager, die einfach den Charts folgen. Es gibt also eine große Vielfalt. Das ist sehr beeindruckend. Die Musik reißt Barrieren nieder.

Erkennen dich die Leute manchmal auf der Straße?

Ja, das passiert hin und wieder. Aber das ist in Ordnung. In Finnland ist es so, dass dich die Leute erkennen, aber dann nichts sagen.

Vor geraumer Zeit habt ihr einen Song für den Grandprix d`Eurovision aufgenommen. Würdet ihr das wieder machen?

Nein! Der Eurovision-Songwettbewerb ist wohl das Korrupteste, was es im Musikgeschäft gibt. Ich hasse das. Es ist abstoßend. Jedesmal, wenn ich es sehe, könnte ich kotzen.

Wir haben den Song damals als Statement gemacht, eine Art Schlag ins Gesicht. Das war 2000, und ich glaube, es gibt keinen Grund, das ein zweites Mal zu machen.

NIGHTWISH

Was ist die peinlichste CD in deiner Sammlung?

Das dürfte dieses finnische Mädchen-Duett aus dem Jahr 1992 sein. Eine wirklich geschmacklose Ballade. Das war ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Ich habe es immer noch. Es heißt Magic Mirror.

Ich frage mich, ob das jetzt irgendein Fan liest und daraufhin die Platte kauft.

Ich will sie nicht dazu ermutigen.

Ihr habt auf dem neuen Album viele Orchesterpassagen. Hast du schon mal daran gedacht ein reines Orchesterstück ohne Heavy Metal-Bezug zu komponieren?

Das ist wohl der größte Traum, den ich habe: einen Soundtrack zu einem Film zu machen, nur mit Orchester, Keyboards, Chor und vielleicht etwas Gesang hier und dort. Aber dafür ist die Zeit momentan noch nicht reif. Ich will mich die nächsten Jahre über voll auf NIGHTWISH konzentrieren. Vielleicht in Zukunft. Wir werden sehen.

Glaubst du nicht, dass es etwas einschränkend wäre, lediglich die Musik zur Untermalung der bewegten Bildern zu machen?

Nein, im Gegenteil. Filmmusik ist meine Leidenschaft. In dieser Richtung gibt es keine Grenzen. Ich liebe den Gedanken, die Musik mit dem Bild zu synchronisieren. Das versuche ich auch mit NIGHTWISH zu erreichen und Kurzfilme zu erschaffen.

Nun habe ich eine Frage, die rein gar nichts mit NIGHTWISH und Musik zu tun hat: Wie viel Schokolade kannst du verdrücken, bevor du vollgestopft bist?

Ich esse überhaupt keine Schokolade oder Süßigkeiten. Keine Ahnung. Ein Schokoladenosterei dürfte reichen.

Würdest du sagen, dass NIGHTWISH eine Band ist, die viel Party macht?

Letztlich sind wir einfach eine nette Band, vier Jungs und ein Mädchen vom Land, die zusammen Spaß haben. Wir sind eine sehr unkomplizierte Band. Hin und wieder besaufen wir uns ordentlich, aber das macht vermutlich jede finnische Band. Wir sind auf alle Fälle nicht ansatzweise so wie MÖTLEY CRUE und Co.

Wie viel Schlaf hast du während der Once-Aufnahmen bekommen?

Es lief eigentlich sehr locker. Wir waren sechs Monate lang fast jeden Tag im Studio. Aber die Tage waren nicht so lang. Es war insofern keine besonders anstrengende Zeit. Ich brauche acht Stunden, und ich bekam sie.

Ich nehme an, du bist noch immer der Hauptsongwriter!?

Ja, ich habe die Musik und alle Texte geschrieben. Nur die Musik von Higher Than Hope stammt von unserem Bassspieler Marco.

Wie kommst du damit zurecht, dass du die Verantwortung trägst? Unterstützen dich die anderen Bandmitglieder?

Sie helfen mir bei den Arrangements. Aber ansonsten funktioniert es so am besten. Die Musik von NIGHTWISH Verkörperung einer Person. Und das bin ich. Ich habe die Band gegründet und mache im Prinzip alles, von der Musik und den Texten bis zu den Promobildern und dem Albumcover. Es ist alles in meinem Kopf, und ich weiß, wie es werden soll. Alle scheinen damit glücklich zu sein. Es gibt also kein Grund, daran etwas zu ändern.

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