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SPASTIC INK: Ink Compatible

Unkonventionelle Musik für Freaks. Gebaut von einem Oberfreak, dessen Leben offensichtlich nur aus Gitarren und Computern besteht. Frickelspaß für viele Stunden.

Das Musikjournalistendilemma: Kann man über derartige Musik überhaupt noch objektiv schreiben?

NEIN! (Review für Fans und Kenner) Das hier ist Musik für Freaks. Gebaut von einem Oberfreak, dessen Leben offensichtlich nur aus Gitarren und Computern besteht. Mehr als vier Jahre dauerte die Produktion, die zwischenzeitlich mehrmals kurz vorm Scheitern war. Ich erinnere mich noch daran, wie ich 2000 die ersten Ausschnitte der Demos runterlud, weil ich damals noch keinen Internetanschluss hatte.

Von eben diesem Internet handeln die Texte auf Ink Compatible. Moment: Texte!? Doch nicht etwa in der Form von Gesang!? Welch Verrat! Fehlt nur noch eine Singleauskopplung… Dementsprechend gibt es im Inlay im Gegensatz zu Ink Complete weder lustige Bildchen noch Kommentare zu den einzelnen Stücken. Stattdessen gibt es lyrische Abhandlungen zu Computerthemen. Zwischen den Zeilen versteckt gibt es zwar Lustiges (to connect, plug and pray) und Gefühlvolles (a fragile, lonely heart). Aber insgesamt empfinde ich die Texte als nicht ganz so spannend wie die Bedienungsanleitung meiner Grafikkarte.

Die meisten Stücke wurden von Ron Jarzombeks Bandkollegen Jason McMaster eingesungen. Die Ähnlichkeiten mit WATCHTOWER halten sich allerdings in Grenzen. Denn der Gesang wurde eindeutig den Instrumenten untergeordnet. Natürlich gibt es einige hervorstechende Passagen. Doch die meiste Zeit über bleibt der Gesang rau und rhythmusorientiert. Das Gleiche gilt für Melissa´s Friend, bei dem Daniel Gildenlöw (PAIN OF SALVATION) den Gesang beisteuerte. Seine ansonsten ausgesprochen variable Stimme klingt bei dem Song seltsam gepresst und verkrampft.

Die instrumentale Seite von Ink Compatible sieht dagegen schon etwas besser aus. Die Gitarrenarbeit ist absolut erstklassig und überrascht mit einigen groovenden Riffs. Schon beim Opener Aquanet fliegen die Fetzen. Die Rhythmusgruppe in Form von Pete Perez (RIOT) und Bobby Jarzombek (ex-JUGGERNAUT, ex-RIOT, ex-HALFORD, exzellent) macht ordentlich Dampf und dürfte jedem Basser bzw. Schlagzeuger eine Menge Respekt abnötigen. Immer wieder gibt es Breaks, Fills und Taktverschiebungen, die alle Frickel-Metal-Fans in Ekstase versetzen dürften. Es tauchen bisweilen traditionelle Songstrukturen auf, die aufgrund fehlender Hooklines aber kaum auffallen. Denn das Songwriting kommt ohne klassische Harmoniefolgen aus. Vielmehr klingt die Musik über weite Strecken eher Reißbrett-lastig. Durch die Hinzunahme von Gesang und Keyboards ist dabei leider die Übersichtlichkeit der ursprünglichen Triobesetzung verloren gegangen. Die eingestreuten Solos der teils sehr illustren Gastmusiker (siehe unten) hinterlassen dabei irgendwie den Eindruck eines Flickenteppichs.

Hier verschwimmen jedoch die Grenzen, da die Musik dermaßen vertrackt und komplex anmutet, dass es einem Wunder gleichkommt, dass die einzelnen Stimmen stets wieder zusammenfinden. Bei aller tonaler Verrücktheit bleiben die hochkomplexen Arrangements nämlich äußerst diszipliniert. Deswegen fehlt Ink Compatible die Energie, die WATCHTOWER bei ihren Konzerten freisetzen.

JA! (Review für Außenstehende) Das ist kein Problem. SPASTIC INK stammen aus San Antonio, Texas und spielen Prog Metal. Die Musik ist sehr anspruchsvoll und voller schiefer Harmonien. Während es bei den ersten beiden Songs und Multi-Masking reichlich harte Passagen und entsprechend heiseren Gesang gibt, stehen bei den anderen Stücken jeweils andere Aspekte im Vordergrund. Words For Nerds konzentriert sich auf Taktwechsel und dynamische Umbrüche, während bei Melissa´s Friend eine geradezu gruselige Atmosphäre aufkommt. Außerdem gibt es noch zwei rein instrumentale Nummern (Read Me und The Cereal Mouse) sowie ein eher ruhiges, melodisches Stück (In Memory of…). Zum Abschluss vereint das überlange A Chaotic Realization of Nothing Yet Misunderstood alle Trademarks zu einer einzigen Lehrstunde in Sachen Unkonventionalität.

Das Musikmagazinleserschaftsproblem: Die eine Hälfte der im (viel zu ausführlichen) Review enthaltenen Informationen kennt man schon von der Bandhomepage, die andere Hälfte kann man sich mit ein bisschen Fantasie selbst zusammenreimen. Aber ist das Album jetzt gut oder nicht!?

Ein objektives Review kann diese Frage meines Erachtens nicht beantworten. Denn aus der objektiven Beschaffenheit des untersuchten Gegenstands lassen sich keine Wertungen ableiten, ohne dass persönliche, metaphysische Überzeugungen ins Spiel kommen. Vgl. dazu auch den sog. Werturteilsstreit in der Wissenschaftstheorie (z.B. Schnell/Hill/Esser 1999:83ff).

Eine subjektive Plattenkritik hingegen läuft auf ein derartiges Urteil hinaus, das in diesem Fall kein wirklich gutes ist. Ich bewundere den Mut und die Motivation, die in der Musik steckt, und es macht mir als Hobby-Musiker Spaß Bobby Jarzombek beim Spielen zuzuhören. Aber die Begeisterung, die Ink Complete 1997 bei mir auslöste, will einfach nicht aufkommen. Und ich fürchte, dass daran auch ein Sänger wie Alan Tecchio oder John Arch wenig hätte ändern können.

Literatur: Schnell, R./Hill, P./Esser, E. (1999): Methoden der empirischen Sozialforschung. München. 6. Aufl.

Veröffentlichungstermin: 23.03.2004

Spielzeit: 58:15 Min.

Line-Up:
Jason McMaster: Gesang

Ron Jarzombek: Gitarre, Programming

Pete Perez: Bass

Bobby Jarzombek: Schlagzeug

Daniel Gildenlöw: Gesang auf Melissa´s Friend

Marty Friedman (MEGADETH): Gitarrensolo auf A Chaotic Realization of Nothing Yet Misunderstood

Jens Johansson (STRATOVARIUS): Keyboardsolos auf Aquanet und Multi-Masking

Jimmy Pitts (SCHOLOMANCE): Keyboardsolo auf Multi-Masking

David Bagsby (XEN): Keyboardsolo auf Words For Nerds

Doug Keyser (WATCHTOWER): Bass auf Read Me und A Chaotic Realization of Nothing Yet Misunderstood

Ray Riendeau (ex-HALFORD, MACHINES OF LOVING GRACE): Bass auf Words For Nerds

Michael Manring (ATTENTION DEFICIT): Basssolo auf Words For Nerds

Sean Malone (GORDIAN KNOT): Bass auf In Memory of…

David Penna (STATIC, AMPHIBIANS FROM OUTER SPACE): Schlagzeug auf Words For Nerds und Read Me

Jeff Eber (DYSRHYTHMIA): Schlagzeug auf A Chaotic Realization of Nothing Yet Misunderstood

Crystal Francis, Bill Dawson, Ron Jarzombek, Amanda Wheatley, David Bagsby, Mike Schlaf, Bill Stalcup, Jennifer Jarzombek: Stimmen

Produziert von Ron Jarzombek
Label: Eclectic Electric

Homepage: http://www.spasticink.com

Tracklist:
1. Aquanet

2. Just a Little Bit

3. Words For Nerds

4. Melissa´s Friend

5. Read Me

6. Multi-Masking

7. In Memory of…

8. A Chaotic Realization of Nothing Yet Misunderstood

9. The Cereal Mouse

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